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Kommentar: Eine Koalition auf wackligen Beinen

22. Juni 2006

Die Galionsfiguren der demokratischen Revolution von 2004 haben sich auf eine neuerliche Koalition geeinigt. Doch diese Koalition steht auf sehr wackeligen Beinen, meint Bernd Johann in seinem Kommentar.

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Drei lange Monate haben der Block von Julija Tymoschenko, das Bündnis "Unsere Ukraine" von Präsident Wiktor Juschtschenko und die Sozialistische Partei gestritten, um eine Neuauflage der Koalition zu beschließen. Nicht Debatten um Sachfragen, sondern Streit um Machtpositionen und vor allem um persönliche Ambitionen prägten das unwürdige Gerangel um die Koalition in Kiew.

Keine Kraft für Neuanfang?

Wen wundert es da, wenn in der ukrainischen Öffentlichkeit derzeit kaum jemand daran glaubt, dass diese Koalition die Kraft zu einem Neuanfang besitzen könnte. Präsident Wiktor Juschtschenko und Frau Tymoschenko sind zerstritten. Im Herbst 2005 kam es zum Zerwürfnis, als Juschtschenko sie als Regierungschefin entließ. Tymoschenkos Kurs als Ministerpräsidentin war damals höchst umstritten. Sie agierte populistisch und irritierte Investoren mit staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft. Uneinig sind die Koalitionäre in der Privatisierungspolitik. Meinungsverschiedenheiten gibt es in der Frage eines NATO-Beitritts der Ukraine.

Vor allem aber haben sie ein Imageproblem, unter dem besonders Präsident Juschtschenko leidet. Bei den Parlamentswahlen vor drei Monaten war seine Partei "Nascha Ukraina" von den Wählern regelrecht abgestraft worden. Sie ist nur noch drittstärkste Kraft im Parlament. Der zahlenmäßig größere Abgeordnetenblock von Tymoschenko wird deshalb in der Koalition die Richtung bestimmen wollen. Konflikte mit der Präsidentenpartei sind absehbar.

Innenpolitische Gräben

Hinzu kommt: Die mit Abstand stärkste Kraft im Parlament ist die pro-russische "Partei der Regionen". Sie ist durch die Wahlfälschungen von 2004 diskreditiert. Aber sie wird eine starke Opposition anführen und hat großen Rückhalt im bevölkerungsreichen Osten des Landes. Die Gefahr ist groß, dass sich die innenpolitischen Gräben, vor allem die Spaltung zwischen dem klar nach Europa ausgerichteten Westen und dem russisch geprägten Osten des Landes, vertiefen. Hier steht die neue Koalition in der Ukraine vor ihrer eigentlichen Bewährungsprobe. Entscheidend wird sein, ob sie die Menschen, gerade die im Osten des Landes für sich gewinnen kann.

Schon jetzt zeichnen sich Herausforderungen ab, die das Regieren schwer machen werden. Mit Russland drohen neue Konflikte um die Energielieferungen. Die Frage der NATO-Annäherung und die Debatte um Russisch als zweite Staatssprache spalten das Land. Doch zunächst muss sich zeigen, ob das neu zu bildende Kabinett eine Mehrheit im Parlament findet. Diese Abstimmung dürfte ein erster Gradmesser dafür sein, ob die Koalition wirklich trägt.

Bernd Johann

DW-RADIO/Ukrainisch, 22.6.2006, Fokus Ost-Südost