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Wie in Großbritannien

Karl Zawazky9. November 2007

Streiks gehören zu jeder Demokratie, doch sie sind ein Mittel des Arbeitskampfes, das verantwortungsbewusst eingesetzt werden sollte, findet Karl Zawadzky.

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Bild: DW

Ein Streik ist kein Weltuntergang und auch keine nationale Katastrophe, sondern das legitime Druckmittel der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften in Tarifkämpfen. Das muss klar sein und klar bleiben. Denn: Wo Arbeitnehmer nicht streiken dürfen, ist es auch in anderen Bereichen um die Freiheit schlecht bestellt. Ein Streik kommt immer ungelegen, zur Zeit zum Beispiel für die Konjunktur in Deutschlands, die ohnehin abflaut. Aber das Streikrecht ist einer der Preise der Freiheit. Doch gerade deswegen ist mit diesem kostbaren Gut sorgsam umzugehen. Das sollte die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) wissen und beherzigen, wenn es ihr darum geht, ihre zentrale Forderung nach einem eigenen Tarifvertrag für Lokführer durchzusetzen.

Karl Zawadzky, Leiter der DW-Wirtschaftsredaktion, Foto: DW
Karl Zawadzky, Leiter der DW-Wirtschaftsredaktion

Da nämlich die bisherigen Streiks ihr Ziel verfehlt haben, steht eine Eskalation an. Waren die Arbeitsniederlegungen bislang auf den Nahverkehr beschränkt, so nimmt die GDL nun den Güterverkehr in ihr Visier. Hier kann sehr schnell ein großer wirtschaftlicher Schaden verursacht werden. Denn die Logistik ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Zum Beispiel in der Autoindustrie wird wie in vielen anderen Bereichen "just in time“ produziert, das heißt: Die Betriebe haben nur noch minimale Vorräte, die Zulieferer bringen ihre Teile nicht mehr ins Lager, sondern gleich an das Fließband – und zwar genau zu dem Zeitpunkt, zu dem sie dort montiert werden sollen. Das setzt eine ausgeklügelte und stets reibungslos funktionierende Logistik voraus. Die Bahn ist ein wichtiges Glied in dieser Kette. Schon der Ausfall einiger Teile legt die gesamte Produktion lahm.

Verantwortungsvoll streiken

Deswegen kann natürlich nicht den Lokführern das Streikrecht aberkannt werden. Aber die Gewerkschaft sollte die Verantwortung spüren und akzeptieren, die ihr bei zunehmender Arbeitsteilung in der Wirtschaft zuwächst. Forderungen von Bahnchef Hartmut Mehdorn, wonach die Bundesregierung per Gesetz die Macht kleiner Gewerkschaften beschränken soll, sind natürlich realitätsfern, zumal die Gewerkschaft ihrerseits darauf setzt, über die Wirtschaft und die Politik Druck auf den Bahnvorstand auszuüben. Denn im Augenblick wäre ein eigenständiger Tarifvertrag für Lokführer zwar für die Bahn ein Problem, aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht billiger als die nun anstehende Verschärfung des Arbeitskampfes.

Doch es geht um mehr. Wenn die Lokführer einen gesonderten Tarifvertrag und dazu auch noch die aberwitzig hohe Lohnforderung durchsetzen, ist das nichts anderes als die Aufforderung an andere Gruppen von Spezialisten in und außerhalb der Bahn, sich ebenfalls in Mini-Gewerkschaften zu organisieren und dem Beispiel der Lokführer zu folgen. Einige – zum Beispiel Fluglotsen und Krankenhausärzte – haben das bereits getan. Am Ende der Entwicklung stünden englische Verhältnisse: Die damalige Premierministerin Margaret Thatcher hat mit einem gewaltigen Kraftakt Ende der 1970er Jahre mit einer Zerschlagung des Gewerkschaftssystems die Modernisierung der britischen Wirtschaft eingeleitet. Niemand sollte ein Interesse daran haben, dass es hier erst zum wirtschaftlichen Niedergang und dann zur Entmachtung der Gewerkschaften kommt.