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Es ist nie zu spät für einen Kurswechsel

Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec
11. März 2016

Polen am Scheideweg. Die Regierung schreibt sich Recht und Gerechtigkeit auf die Fahnen und vollzieht das Gegenteil. Immer heftiger wird die Konfrontation, bei der das Land nur verlieren kann, meint Rosalia Romaniec.

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Polen Demonstration in Warschau
Das Urteil des Verfassungsgerichts auf der Fassade der Regierungssitzes - kreative Demonstrationen in WarschauBild: picture alliance/AP Photo/C. Sokolowski

Noch nie war Polen in seiner jüngsten Geschichte so gespalten wie heute. Mitten durchs Land, durch Familien, Freundschaften und Facebook-Foren verläuft eine unsichtbare Trennlinie: Auf der einen Seite diejenigen, die nach vorne schauen und die Demokratie nach 1989 mit all ihren Unzulänglichkeiten verteidigen. Auf der anderen die PiS-Anhänger, die Andersdenkende als "schlechtere Polen" beschimpfen und einen autoritären Staat wollen. Zwischen den Fronten liegt nichts als ein tiefer Graben. Es scheint, als wäre jeder eher bereit, in die trennende Schlucht zu springen, als über den eigenen Schatten.

Für die national-konservative Regierungspartei ist ihr Name Programm: "Recht und Gerechtigkeit". Doch weniger im Namen des Volkes, als im Namen der Partei. Mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit legt sie höchst eigenwillig Gesetze aus und räumt alles aus dem Weg. Jetzt steht sie vor der größten Hürde: dem Verfassungsgericht.

PiS in Meinungsumfragen weiter vorn

Der Streit mit den höchsten Richtern spitzte sich zu, nachdem diese die geplante Justizreform für verfassungswidrig erklärten. In reifen Demokratien wäre eine Kurskorrektur der Regierung die Folge - auch, um die Wähler nicht zu verprellen. Doch Warschau tickt anders. Wäre am Sonntag Wahl in Polen, bekäme die PiS mehr Stimmen, als beide großen Oppositionsparteien zusammen. Solche Umfragen berauschen die Regierung, die sich im Recht sieht, das Urteil des Verfassungsgerichts und damit die Verfassung selbst zu ignorieren. Mit "bestem" Beispiel geht die Premierministerin Beata Szydło voran: Ihrer Meinung nach durfte das Verfassungsgericht derzeit gar nicht urteilen. Also veröffentlicht sie den Urteilstext nicht im Amtsblatt - womit er formal auch nicht in Kraft tritt.

Die Härte des Konfrontationskurses überrascht viele, aber ebenso die Ausdauer der protestierenden Bürger: Jede Woche gehen Zigtausende Polen auf die Straßen. Aktuell harren viele vor dem Amtssitz der Premierministerin aus. Weil sie den Urteilstext nicht veröffentlichen lässt, projizieren sie ihn nachts auf die Fassade des Gebäudes, in dem sie sitzt. "Beata, druck diesen Text!" rufen sie dabei. Darüber berichten nur noch private TV-Sender. Das staatliche Fernsehen "informiert" über die "unzulässige Vorgehensweise der Verfassungsrichter".

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Rosalia Romaniec leitet die DW-Redakionen für das östliche MitteleuropaBild: DW

Die Frage ist: Wie lange wird die PiS das aushalten? Der Druck im Land nimmt zu, ebenso der aus dem Ausland. So hat die Venedig-Kommission des Europarates am Freitag ihren Bericht über den Stand der Rechtsstaatlichkeit in Polen veröffentlicht. Warschau hatte selbst darum gebeten, nachdem die EU-Kommission im Januar ein Verfahren zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eröffnete. Die PiS-Regierung ging natürlich davon aus, der Europarat würde die Lage milder beurteilen. Doch nun kommt auch die Venedig-Kommission zum Ergebnis, dass nicht nur der Rechtsstaat, sondern sogar das Funktionieren des gesamten demokratischen Systems in Polen durch die PiS-Reformen gefährdet sei.

Kurskorrektur oder weitere Konfrontation?

Die Regierung reagiert inzwischen panisch. Statt die Stimmung zu besänftigen, verweist sie darauf, die Venedig-Kommission sei "nur ein beratendes Gremium". Mit dieser Nonchalance will Warschau die eigene Entscheidungsnot verstecken: Kurskorrektur oder weitere Konfrontation? Das erste wäre klug und pragmatisch. Das zweite ist wahrscheinlicher, hätte aber verheerende Folgen: eine Verfassungskrise, eine Staatskrise, Anarchie im Justizwesen und noch schlimmeren Szenarien - alles denkbar.

Das wissen auch die Pragmatiker in der Kaczyński-Partei. Zumal der Parteichef zu deren Verdruss wie ein Alleinherrscher die Politik der Regierung bestimmt - frei von der Last der Ämter und von Verantwortung. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Ersten emanzipieren wollen. Das meinte auch der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk, als er den polnischen Präsidenten Andrzej Duda traf. In "Star Wars"-Rhetorik gab er den Hinweis, es sei "nie zu spät, um auf die helle Seite der Macht zu wechseln". Wohl wahr. Hauptsache, die entscheidenden PiS-Leute warten nicht zu lange. Denn den sonst fälligen Preis muss nicht nur die Regierung zahlen, sondern alle Polen.

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