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Essen, Mumbai und die Stahl-Fusion

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Henrik Böhme
20. September 2017

Der Traditionskonzern Thyssenkrupp ist seinem Ziel näher gekommen, sein Stahlgeschäft abzuspecken. Gelingen soll das gemeinsam mit den Indern von Tata. Ein riskanter Plan ohne Erfolgsgarantie, meint Henrik Böhme.

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Deutschland Heinrich Hiesinger ThyssenKrupp vor dem Firmensitz in Essen
Bild: picture-alliance/dpa/R. Weihrauch

Als er vor sieben Jahren seinen Job bei Thyssenkrupp antrat, hatte der einstige Siemens-Manager Heinrich Hiesinger einen ziemlich radikalen Plan in der Tasche. Der war auch nötig, denn der Laden stand kurz vor der Pleite. Hiesinger wollte nichts mehr und nichts weniger als den grundlegenden Umbau eines deutschen Traditionskonzerns, der vor allem mit Stahl groß geworden ist. Die Wurzeln von Thyssenkrupp stehen sinnbildlich für die Industrialisierung Deutschlands und seine einstige Herzkammer, das Ruhrgebiet. Kohle, Eisen, Stahl und die entsprechenden Großkonzerne prägten seit dem 19. Jahrhundert den größten Ballungsraum Europas. Bisheriger Höhepunkt: die Hochzeit der Stahlgiganten Krupp und Thyssen im Jahr 1999.

Das schwierige Stahl-Geschäft

Aber mit Stahl lässt sich heutzutage nicht mehr wirklich gutes Geld verdienen. Das liegt zum einen an den exorbitant gestiegenen Rohstoffkosten, an den in Europa mittlerweile sehr strengen Umweltauflagen und vor allem an den gigantischen Überkapazitäten durch Dumping-Stahl "Made in China". Womit europäische Stahlhersteller noch punkten können, sind Spezial-Stähle für besondere Anforderungen. Aber da ist Thyssenkrupp nicht alleine, der Weltmarktführer Arcelor Mittal kann das auch, oder auch Salzgitter, Saarstahl oder die Dillinger Hütte.

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Henrik Böhme, DW-Wirtschaftsredaktion

Hiesingers Plan ging so: Weg vom Kerngeschäft Stahl, hin zu einem Industrie- und Technologiekonzern. So ist man heute unter anderen in den Geschäftsfeldern Aufzugbau, Anlagenbau und als Zulieferer für Autobauer unterwegs. Das brachte den Konzern wieder zurück in ein ruhigeres Fahrwasser, nur eben nicht wirklich nachhaltig. Weil die Stahlsparte immer wieder für rote Zahlen sorgte. Denn das Stahlgeschäft ist extrem konjunkturanfällig. Steigt die Nachfrage, fließen die Gewinne. Läuft es anders herum, dann werden die Stahlkocher gefährlich für den Gesamtkonzern. Zumal Hiesinger von seinen Vorgängern kapitale Altlasten geerbt hat: Zwei Stahlwerke in den USA und Brasilien entpuppten sich als Fehlinvestitionen, die dem Konzern am Ende acht Milliarden Euro Verlust eingebrockt haben.

So flirtete der Chef seit längerer Zeit schon mit diversen Partnern, in die er das Stahlgeschäft einbringen könnte. Von Anfang an hatte er ein Auge auf das europäische Stahl-Standbein des indischen Konzern-Giganten Tata geworfen. Als die Inder darauf drängten, auch ältere britische Stahlwerke einzubringen, die Pensionslasten von rund 16 Milliarden Euro mit sich herumschleppen, drohte der Deal zu platzen. Aber seit Sommer ist das geklärt, und so konnten die Konzernzentralen in Essen und Mumbai nun ihre Absicht verkünden: Wir machen beim Stahl künftig gemeinsame Sache.

Noch viele Fallstricke

Die Betonung liegt auf dem Wort Absichtserklärung. Denn mehr als das ist es nicht, was da bisher auf dem Tisch liegt. Erst jetzt wird man sich gegenseitig in die Bücher schauen, und da kann sich noch manche Grausamkeit auftun. Dass Thyssenkrupp hoch verschuldet ist, wussten die Inder allerdings auch schon vorher. So finden hier zwei zusammen, die sich eher stützen müssen, als dass sie vor Kraft nicht laufen könnten. Auch dass man um Entlassungen nicht umhin kommen wird, scheint klar: Die Gewerkschaften sind schon längst in Alarmstimmung und eher gegen die Fusion. Die Werke seien derzeit gut ausgelastet, eigentlich brauche man Tata gar nicht. Das mag im Moment stimmen, doch der nächste Abschwung kommt bestimmt und die Überkapazitäten verschwinden auch nicht einfach, nur weil die IG Metall zu Protestmärschen aufruft.

Für Heinrich Hiesinger beginnt die eigentliche Arbeit erst jetzt: Er muss den Deal seinen Stahlwerkern schmackhaft machen, am besten mit einer Beschäftigungs- und Standortsicherung. Ein gutes Argument wird sicher sein, dass der Zusammenschluss als Joint Venture, also als eine Partnerschaft unter Gleichen geplant ist. Nur wird eine solche Beschäftigungsgarantie den Preis hochtreiben. Ob das dem zweitgrößten Aktionär von Thyssenkrupp, einem schwedischen Investmentfonds gefallen wird, ist jedoch mehr als fraglich. Auf dem Weg zu einer erfolgreichen Umsetzung der nun verkündeten Absichtserklärung liegen also noch eine ganze Menge Fallstricke.

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Henrik Böhme Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Auto- und Finanzbranche@Henrik58