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Kommentar: Feiertag mit bitterem Beigeschmack

Ingo Mannteufel4. November 2005

Jetzt haben die Russen also einen neuen Feiertag: den Tag der nationalen Einheit. Nationale Eintracht ist ein berechtigtes Anliegen für Russland. Dennoch sieht Ingo Mannteufel einen Schatten über den neuen Feiertag.

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Feiertag künftig nicht mehr am 7. NovemberBild: AP

Dass ein neu eingeführter Feiertag in Russland gerade in die erste Novemberwoche fällt, ist kein Zufall. Jahrzehntelang waren die Russen - wie alle Sowjetbürger - daran gewöhnt, am 7. November einen großen Feiertag zu begehen: Gefeiert wurde dabei der von Lenin und Trotzki organisierte bolschewistische Staatsstreich im Jahre 1917 - die so genannte Oktoberrevolution.

Besser als der 7. November

Der neue Tag der nationalen Einheit am 4. November soll nun diesen sowjetischsten aller sowjetischen Feiertage in den Schatten stellen und vergessen machen. Aus dieser Perspektive ist der Tag der nationalen Einheit sehr zu begrüßen. Denn die "Oktoberrevolution" war Ausgangspunkt des "sozialistischen Experiments" in Russland, das zu Millionen Toten und Vertriebenen geführt hat. Der ideologische 7. November-Feiertag steht für die Spaltung der russischen Gesellschaft in "Rote" und "Weiße", den mörderischen Bürgerkrieg, die Wellen der Emigration. Damals verlor Russland einen Großteil seiner geistigen und kulturellen Elite. Viel zu wenig wird leider im heutigen Russland danach gefragt, was aus einem nicht-zaristischen, aber auch nicht-bolschewistischen Russland nach 1917 hätte werden können. Das Gedenken an den 7. November passt jedenfalls nicht zu einem modernen und demokratischen Russland im 21. Jahrhundert.

Nationale Einheit - ein berechtigter Wunsch

Der "Tag der nationalen Einheit" entspricht dagegen viel besser dem heutigen Russland. Denn, erstens, ist jedem Volk nationale Eintracht und ein friedliches Zusammenleben aller Bürger zu wünschen. Und zweitens gilt das umso mehr für das multinationale und multikonfessionelle Russland, das seit 15 Jahren heftige soziale und vor allem ethnische Spannungen durchlebt. Der Wunsch - vor allem auch der politischen Elite - nach nationaler Einheit in Russland ist daher nicht weiter verwunderlich, sondern sehr verständlich.

Anti-westliches Symbol

Dennoch fällt es schwer, den neuen Feiertag mit ganzem Herzen zu begrüßen. Das liegt am historischen Ereignis, mit dem der 4. November symbolisch verbunden ist: Denn historisch wird daran erinnert, dass eine Volkswehr unter der Führung des Gemeindevorstehers Kusma Minin aus Nischni Nowgorod und des Fürsten Dmitri Poscharski die Stadt Moskau von einem polnischen Besatzerheer im Jahre 1612 befreit hat.

Unabhängig vom damaligen historischen Geschehen sendet das heutige Russland mit der Auswahl dieses Ereignisses für einen Feiertag ein ungutes Signal aus. Kann Russland und können die Russen etwa nur in der Abwehr äußerer Gefahren nationale Einheit erfahren? Zeigt sich die russische nationale Eintracht nur im Kampf gegen Polen und westliche Invasoren? Damit erinnert der Feiertag fatal an die in der Sowjetzeit so gern gepflegte Festungsmentalität, die alles Übel westlich-kapitalistischen Staaten zugeschrieben hat.

Der Feiertag passt damit auch zu den angespannten polnisch-russischen Beziehungen, und er ähnelt auch den Stoßrichtungen der Kreml geförderten Naschi-Bewegung zur Abwehr orangener Revolutionen in Russland. Doch der Feiertag passt nicht zu einem modernen, mit Europa eng verbundenem Russland. Es ist daher zu hoffen, dass viele Russen den 4. November als einen arbeitsfreien Tag für Familienfeiern und Ausflüge nutzen und sich nicht von den neuen Ideologen vereinnahmen lassen.