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Politik

Früchte des Zorns

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
6. Februar 2017

Der Front National hat sein Programm präsentiert. Es droht die politische Identität Frankreichs auf den Kopf zu stellen. Das Beispiel USA zeigt, wie sehr Populisten in die Irre führen, meint Kersten Knipp.

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Frankreich Le Pen startet Wahlkampf mit Angriffen auf die EU
Bild: Reuters/R. Prata

Der Ehrengast in Lyon hieß Donald Trump. Er war nicht persönlich anwesend, doch sein Geist schwebte über der Auftaktveranstaltung zum französischen Präsidentschaftswahlkampf, zu der sich Anhänger des rechtsextremen Front National (FN) in der südfranzösischen Stadt versammelt hatten. "Priorité nationale" ("Nationale Priorität") versprach die FN-Vorsitzende Marine Le Pen ihren Zuhörern. Das ist nichts anderes als die französische Variante des "America first", die US-Präsident Donald Trump in seiner Antrittsrede beschwor.

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DW-Autor Kersten Knipp

Dabei pflegt die Führerin des FN einen ganz anderen Stil als Donald Trump. Den Stil einer neuen Generation, der sich auch vom ruppigen Auftritt ihres Vaters, des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, gründlich unterscheidet. Marine Le Pen gibt sich zivil. Ihr Lächeln, die fast sanften Bewegungen, die gesetzte Rhetorik: All das soll auch ein bürgerliches Publikum ansprechen. Und zumindest in Teilen lässt dieses sich auch ansprechen.

Die gefährdete Mittelschicht

Warum tut es das? Die schlüssigste These besagt, dass Le Pen all jene anspricht, die sich von den bisherigen Regierungsparteien, den Sozialisten ebenso wie den Republikanern, nicht mehr vertreten fühlen. Der FN erfährt hohen Zuspruch vor allem von den absturzgefährdeten Angehörigen der Mittelschicht. Also von jenen, die auch aus Sicht linker Ökonomen von begründeten Statusängsten geplagt werden. Diese Klasse ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Sowohl die Sozialisten wie auch die Republikaner müssen sich vorwerfen lassen, sich um sie nicht hinreichend gekümmert zu haben.

Der Zorn weiter Teile der Mittelschicht auf das politische Establishment scheint ins Unermessliche gewachsen. Nur so ist es zu erklären, dass ihre Angehörigen bereit sind, sämtliche innen- wie außenpolitischen Traditionen über Bord zu werfen, sich von Vielem zu verabschieden, was bislang zum Kern des französischen Selbstverständnisses gehörte: die Verankerung in der EU, das Engagement in der NATO, überhaupt die Präsenz in den westlichen Bündnissen. Kulturell will sie sich für die "französischen Werte" stark machen.

Das Kind mit dem Bade ausschütten

Es ist wahr: Überall in Europa regt sich Unbehagen an einer kaum gesteuert anmutenden Globalisierung. Firmenverlagerungen, Finanzspekulation und Masseneinwanderung sind Phänomene, die nicht nur in Frankreich vielen Menschen aus guten Gründen Angst machen.

Politisch haben die Europäer unendlich viele Aufgaben vor sich. Aber nichts spricht dafür, dass auch nur irgendeiner der europäischen Staaten das im Alleingang schafft. Das Steuerdumping, das in London gerade als Mittel der Wahl gepriesen wird, spricht Bände dafür, auf welchen Wegen England sich für die Zukunft fit zu machen versucht. Und auch die ökonomischen Bande, die Premierministerin Theresa May gerade mit Autokraten in Vorderasien knüpft, lassen erahnen, dass der Abschied vom europäischen Kontinent einen hohen Preis hat. Den Bruch mit der EU plant auch der FN. Er will die EU nicht reformieren, was in der Tat nötig wäre. Er will sie verlassen, was angesichts der darbenden französischen Industrie mehr als gewagt ist.

Im Namen des Ressentiments

Marine Le Pen behauptet, im Namen des Volkes zu sprechen. Was das heißt, auch das kann man bei Trump sehen. Authentizität, darunter versteht er vor allem enthemmte Pöbeleien via Twitter. Auch in England zeigt sich die populistische Versuchung in rüder Form. Sie äußert sich etwa in Gängeleien gegenüber nicht-englischen EU-Bürgern - und das, obwohl England immer noch Mitglied der EU ist. Auch in Deutschland geben die Rechtspopulisten von der AfD einen Vorgeschmack ihrer politischen Kultur - etwa, wenn Björn Höcke gegen die deutsche Erinnerungskultur pöbelt und die Partei sich nicht dazu durchringen kann oder will, ihn umgehend rauszuschmeißen. Dass sie in den Umfragen stagniert, ist ein erfreuliches Zeichen.

Die Populisten in Frankreich und anderswo behaupten, im Namen des Volkes zu sprechen. Dass sie das tun, braucht man ihnen nicht zu glauben. Sie sprechen im Namen des Ressentiments. In den USA bekommt Trump - Stichwort Aufhebung des Einreiseverbots, Stichwort Massendemonstrationen - derzeit zu spüren, dass man damit nicht weit kommt. Im Zweifel stellt sich die Wirklichkeit auch Populisten in den Weg.

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DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika