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Fragwürdige Vollmacht für den BND

1. Juni 2018

Das Bundesverwaltungsgericht hält das Anzapfen des weltweit größten Internet-Knotens DE-CIX durch den deutschen Auslandsgeheimdienst für gerechtfertigt. Marcel Fürstenau hätte sich ein anderes Urteil gewünscht.

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Symbolfoto Big Data
Der BND liest oft mit, wenn Daten über den Internet-Knotenpunkt DE-CIX in Frankfurt am Main geleitet werden Bild: Imago/Ikon Images/J. Holcroft

Ausländer X schickt Ausländer Y eine E-Mail, in der es um einen geplanten Anschlag auf Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan geht. Wie gut, dass der Bundesnachrichtendienst (BND) im Rahmen der strategischen Fernmelde-Aufklärung rechtzeitig davon erfährt. Der Anschlag kann verhindert werden. Ungefähr so kann man sich - grob vereinfacht - die erfolgreiche Überwachung der weltweiten Telekommunikation vorstellen. Klingt simpel und wünschenswert, ist aber voller Tücken und kann schnell die Falschen treffen: Unbescholtene, deren Kommunikation wegen technischer Unzulänglichkeiten oder fantasievoller Auslegung des Gesetzes abgeschöpft wird. 

Dass der BND bei der Gefahren-Abwehr oft weit über das Ziel hinausgeschossen ist, wurde im Zusammenhang mit der Affäre um seinen US-Partnerdienst National Security Agency (NSA) deutlich. Ohne die mutigen Veröffentlichungen des Whistleblowers Edward Snowden wüsste die Welt wohl noch immer nicht, wie ungeniert Geheimdienste im Zweifelsfall auf unsere Daten zugreifen. Und erst durch den NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages erfuhr eine breitere Öffentlichkeit, dass Betreiber von Internet-Knoten auch gegen ihren Willen zu Handlangern des BND werden.

Das Urteil (be)trifft uns alle

Der bekannteste und weltweit größte, DE-CIX, wollte das nicht länger hinnehmen und klagte vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig - leider vergeblich. Denn die Richter wiesen die Klage als "unbegründet" zurück. Bemerkenswert ist die Begründung: Die Klägerin könne sich als Vermittlerin von Telekommunikationsverkehren nicht auf den in Artikel 10 des Grundgesetzes verankerten Schutz des Fernmeldegeheimnisses berufen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel FürstenauBild: DW

Logisch zu Ende gedacht, können die Richter damit nur eines meinen: Die auf Anordnung des Bundesinnenministeriums herauszugebenden Daten gehören ja gar nicht DE-CIX, sondern deren Kunden. Diese Kunden sind wir alle. Ohne Betreiber von Internet-Knoten, wie auch immer sie heißen, würde keine einzige Mail von A nach B transportiert werden, fände kein internetbasiertes Telefongespräch statt.

Welche Staatsangehörigkeit steckt hinter "dw.com"?

Dass sich gelegentlich auch Ihre oder meine Daten unter angezapften Leitungen befinden, ist schon aus statistischen Gründen sehr wahrscheinlich. Schließlich saugen Geheimdienste permanent Millionen von Kommunikationsverbindungen ab. Sie tun das mit konkreten Suchbegriffen, sogenannten Selektoren. Dabei sollen und dürfen aber nur Ausländer überwacht werden. Das aber lässt sich beim besten Willen nun einmal nicht gewährleisten. Niemand weiß im Zweifelsfall, wer sich hinter einem Mail-Account wie "@gmail.com" verbirgt. Auch der Deutsche Welle-Account endet mit "com".

Kurzum: Wer behauptet, die Staatsangehörigkeit eines Mail-Absenders oder am Telefon Englisch sprechenden Menschen zweifelsfrei zu kennen, macht sich lächerlich. Schade, dass die Bundesverwaltungsrichter in ihrer Urteilsbegründung zu Ungunsten von DE-CIX mit keinem Wort auf diesen abenteuerlichen Unsinn eingegangen sind. Mit ihrer formalen Begründung des Urteils weichen sie der entscheidenden Frage aus: Wie kann man sich als Einzelner gegen die vom BND betriebene potenzielle Überwachung wehren? Die Antwort gibt hoffentlich das Bundesverfassungsgericht. Voraussetzung ist, dass jemand klagt.

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