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Kommentar: Frauen, setzt euch in Bewegung!

Julia Hitz
6. Dezember 2017

Frauen der #MeToo-Bewegung wurden vom US-amerikanischen "Time Magazine" zur "Person des Jahres" gewählt. Höchste Zeit, dass sich auch in Deutschland die Frauen mobilisieren, meint Julia Hitz.

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USA  #MeToo Protestmarsch in Hollywood
Bild: Getty Images/AFP/M. Ralston

Wann geht es hier endlich los? Ich kenne meine eigenen #MeToo-Momente, die meiner Freundinnen, ja sogar die von ein paar Kollegen. Nicht justiziabel vielleicht, aber trotzdem klar im roten Bereich.

Schweden, das vielleicht feministischste Land der Welt, ist mitten drin, in der #MeToo-Debatte. Hier haben sich Gruppen von Frauen zusammengeschlossen und sich ausgetauscht: über sexuelle Übergriffe in ihrem beruflichen Umfeld, über sexuellen Missbrauch. In einer geschlossenen Facebook-Gruppe begannen sie, ihre Geschichten zu erzählen. Ein "safe space" sei so entstanden, so eine der Initiatorinnen im Gespräch mit dem deutschen Magazin "Spiegel". Daraus ist eine "Sisterhood" entstanden, die sich gerade anschickt, das Land zu verändern. Intern sind die Geschichten bekannt, auch die Namen der Täter und der Opfer. Aber sie wollen nicht nur einen Einzelnen benennen, die Einzelgeschichte in den Vordergrund stellen. Sie wollen an die Wurzel der Ungleichheit.

Time Person of the year 2017
Sie bewegen die USA: "Frauen, die das Schweigen brechen" sind für das Time Magazine die "Person des Jahres" 2017Bild: Time

In offenen Briefen haben sie sich in den schwedischen Medien sichtbar gemacht, mit der wenig versteckten Drohung: "Wir wissen, wie ihr heißt". Die Forderung dahinter: Es muss sich was ändern. Den ersten Brief unterzeichneten 456 Schauspielerinnen, darunter Stars wie Alicia Vikander und Noomi Rapace. Es folgten Rechtanwältinnen mit knapp 6000 Unterschriften, Sängerinnen, Schülerinnen, Akademikerinnen, Medizinerinnen. Nun diskutiert ganz Schweden, was sich ändern muss, um die Macht zwischen den Geschlechtern gerechter zu verteilen. Die Mit-Gründerin der schwedischen Bewegung diagnostiziert: Bei sexuellen Übergriffen geht es nicht um Sex, es geht um Macht.

Und in Deutschland? "Die, die das Schweigen brechen" - wer könnten die sein? Und warum sind es nicht schon längst viele? Liegt es an einer fortdauernden Autoritätshörigkeit in Deutschland? Schweden hat flache Hierarchien, die USA glaubt an die Wirkungsmacht der Zivilgesellschaft.

Gibt es vielleicht einen "Latzhosen-Komplex"? Die Geschlechterkämpfe der 1970er- und 80er Jahre in Deutschland haben Spuren hinterlassen, Frauen wurde ihre Weiblichkeit abgesprochen, dafür stand sinnbildlich die Latzhose und die "Emanze" als beliebtes Schimpfwort. Heute präsentieren sich Frauen wieder weiblicher. Aber die Angst sitzt tief, den Geschlechterkampf auf Kosten der eigenen (auch weiblichen) Identität zu führen. "Sei mal lieber kein Spielverderber", "sei doch nicht so prüde" oder "stell dich nicht so an" sind die Sprüche, die uns verstummen lassen sollen. Sei es der Onkel, dessen Arm immer ein Stück zu tief auf der Hüfte landet, oder anzügliche Kommentare männlicher Kollegen. Und oft und noch immer suchen die Frauen den Fehler bei sich - und nicht beim Urheber der Übergriffe.

Julia Hitz
DW-Kulturredakteurin Julia HitzBild: J. Henrich

Die Frauen der 1970er-Jahre haben es doch auch gemacht: Alice Schwarzer importierte die französische Aktion gegen den Abtreibungsparagraphen und eine Welle kam ins Rollen, die Frauen bundesweit erfasste. Diese Frauen wollten ihren Platz am Tisch der Weltgeschichte und forderten ihn lautstark ein. Dazu organisierten und solidarisieren sie sich. Viele Entwicklungen, die damals ihren Anfang nahmen, sind heute institutionalisiert, implementiert, selbstverständlich. Von gleichen Rechten für Mann und Frau bis hin zu Gender Mainstreaming und Gleichstellungsbeauftragten.

Die Frauen der 1970er-haben schon einiges gemacht, was die modernen Schwedinnen heute wieder tun: einen "safe space” schaffen, sich zusammentun, sich die Geschichten erzählen. Und dann geschlossen und mit Wucht auftreten.

Wir müssen ihn hinter uns lassen, diesen "Latzhosen-Komplex". Wir müssen Feministinnen sein können, ohne uns dafür zu schämen (ja, liebe Frau Kanzlerin, nur Mut!), und wir müssen machtvoll sein dürfen, ohne dass Sexualität oder das Geschlecht eine Rolle spielen. Eine (Arbeits- und Gesellschafts-) Kultur schaffen, in der wir keine Hemmungen haben, uns zur Wehr setzen, wenn wir angegriffen werden, in der wir Übergriffe benennen und zu benennen wissen. Grenzen setzen, sie kommunizieren und deren Überschreitung ahnden. Das Gleiche möge übrigens auch für Männer gelten. 

Ich ertappe mich seit der #MeToo-Welle immer wieder dabei, wie ich den Beyoncé-Song "Formation" leise vor mich hinsumme, diese Hymne einer selbstbewusste Blackness, die sich nicht entschuldigt: "Okay ladies now let´s get in formation", singt die Sängerin, Mutter, Unternehmerin und Feministin Beyoncé da. "Ladies, es ist Zeit, sich zu formieren." Ja, auch hier, auch ich.