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Kommentar: Geopolitische Spiele in Sofia

24. Januar 2008

Russland und Bulgarien haben während des Besuchs von Wladimir Putin in Sofia wichtige Energieabkommen unterzeichnet, die weit über die Grenzen beider Länder hinaus von Bedeutung sind. Alexander Andreev kommentiert.

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Handschlag unter Freunden - Puntin (li.) und ParvanovBild: AP

„Das Hähnchen ist kein Vogel, Bulgarien ist kein Ausland.“ Das (auf Russisch gereimte) Sprichwort aus den Ostblockzeiten hat immer noch Aussagekraft, was die russisch-bulgarischen Beziehungen anbetrifft. Denn einige Politiker in Moskau betrachten Bulgarien immer noch als einen Teil des russischen Einflussbereiches. Breite Schichten der bulgarischen Bevölkerung befürchten eine neue Abhängigkeit. Keine politische Abhängigkeit, ist Bulgarien doch Vollmitglied der NATO und der EU – sondern eine wirtschaftliche, besonders im Energiebereich.

„Großes geopolitisches Spiel“

Gerade die Energieabkommen, die während Wladimir Putins Besuch in Sofia unter Dach und Fach gebracht worden sind, haben diese Visite auch in die internationalen Nachrichten gehievt. Denn das 10 Milliarden Euro schwere Projekt South Stream zur Gaslieferung aus Russland über Bulgarien in die EU-Staaten wird allgemein als Moskaus Gegenschlag auf die Nabucco-Pipeline betrachtet. Sie soll die Eu mit Gas aus Zentralasien beliefern. Auch die Öl-Pipeline unter dem Schwarzen Meer, die als Teil des Projekts Burgas-Alexandroupolis russisches Rohöl über Bulgarien bis zur griechischen Ägäis-Hafenstadt transportieren wird und jetzt in Sofia bestätigt wurde, erhöht Bulgariens Gewicht als Energie-Drehescheibe auf dem Balkan. Und das Viermilliarden-Abkommen mit dem russischen Konzern Atomstroj zum Bau eines neuen Atomkraftwerks am bulgarischen Donau-Ufer – auch ein Ergebnis dieser Visite – verspricht mittelfristig Gewinne aus Stromexport für Bulgarien, wird aber von Umweltschützer und Atomexperten in der EU wegen der Erdbebengefahr kritisch eingeschätzt. Russische Beobachter sprechen offen von einem „großen geopolitischen Spiel“ Moskaus mit dem Ziel, Bulgarien mit lukrativen Transitgebühren und relativ billiger Energie zu bestechen und gegen andere EU-Länder auszuspielen.

Proteste der Opposition

Gerade dies gibt der bulgarischen Opposition und den Demonstranten, die in Sofia mit Plakaten „Putin, go home!“ aufmarschiert sind, Anlass zu Sorge. Denn die EU-Integration und das Abkoppeln von Moskau sind für viele Bulgaren die strategisch wichtigsten Ergebnisse der politischen Wende von 1989/90 im Lande. Die heutige Regierung in Sofia, die von der ex-kommunistischen Bulgarischen Sozialistischen Partei dominiert wird, und der Staatspräsident Georgi Parvanov als Ex-Chef dieser Partei sind aber traditionell Russland-freundlich. Die Opposition befürchtet also eine schleichende „Ent-europäisierung“ des Landes.

Strategischer Vorposten Moskaus?

Diese Befürchtungen sahen viele auch dadurch bestätigt, dass während Putins Besuch in Sofia ein so genanntes „Russland-Jahr“ in Bulgarien feierlich ausgerufen wurde. Ja, Bulgarien wurde als unabhängiger Staat nach dem russisch-türkischen Krieg vor 130 Jahren wiederhergestellt. Ja, die geschichtlichen, sprachlichen und kulturellen Beziehungen beider Länder, die zum Beispiel die kyrillische Schrift teilen, sind unbestreitbar. Aber auch heute – wie vor 130 Jahren – betrachtet Moskau das kleine Balkanland nicht vorrangig als Freund und Partner, sondern als einen strategischen Vorposten und als Machtinstrument im „großen geopolitischen Spiel“. Eine Tatsache, die Wladimir Putin und die Regierenden in Sofia abermals hinter pompöser Phraseologie und verschwommene Erklärungen über eine Diversifizierung der Gasrouten nach Europa zu verbergen suchen.

Rückbesinnung auf den Balkan

Diese „Diversifizierung“ wird nicht nur Bulgariens Abhängigkeit von den russischen Energielieferungen zementieren, sie wird auch die EU weiterhin erpressbar machen, obwohl von den in Sofia unterzeichneten Abkommen auch weitere EU-Länder profitieren werden: Griechenland, Italien, Österreich, um nur einige zu nennen. Was unter dem Strich bleibt, ist die Tatsache, dass Sofia seine EU-Loyalität zu einem guten Preis – und nur teilweise – verkauft hat, während sich Russland langsam auf ihr traditionelles Machtinstrument gegen die Europäer zurück besinnt: auf den Balkan. Kein Zufall also, dass Wladimir Putin anlässlich seines Bulgarien-Besuchs abermals eine deutliche Warnung in Sachen Kosovos Unabhängigkeit ausgesprochen hat, während seine bulgarischen Gastgeber höchst unverbindlich geblieben sind.

Alexander Andreev, DW-Bulgarisch