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Kommentar: Gezielte Indiskretion

Daniel Scheschkewitz, Washington28. Februar 2006

Die Geheimdienst-Affäre hat mit den jüngsten Enthüllungen eine neue, für die bilateralen Beziehungen explosive Sprengkraft, meint Daniel Scheschkewitz in seinem Kommentar.

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Bild: dpa

Die Behauptungen der "New York Times", der deutsche Geheimdienst BND habe irakische Verteidigungspläne für Bagdad an Washington weitergeleitet, entbehren nicht einer gewissen Brisanz, denn die Zeitung beruft sich auf einen geheim eingestuften Bericht des US-Militärs. Da stellt sich natürlich die Frage: Wer hat in Washington ein Interesse daran, dass die Indizien für eine intensive Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Geheimdienst und den USA im Irak-Krieg ausgerechnet jetzt an die Öffentlichkeit gelangen?

Absehbares Dementi

Denn, dass es sich um eine gezielte Indiskretion handelt, daran kann es ja wohl kaum einen Zweifel geben. Wie sonst sollte die US-Zeitung in den Besitz geheimer Materialien kommen, noch dazu einer Planskizze? Das Kalkül könnte so aussehen: Empört über die moralische Scheinheiligkeit, mit der die alte Bundesregierung den Irak-Krieg in der Weltöffentlichkeit bekämpfte, gleichzeitig aber ihren Bündnispartner mit Informationen versorgte, will Washington Deutschland und die Schröder-Regierung diskreditieren.

In Berlin haben Sprecher der neuen Bundesregierung das Ganze umgehend dementiert. Was sollten sie sonst auch tun? Schließlich sitzt die alte Bundesregierung in Form der SPD und in Person des sozialdemokratischen Außenministers Frank-Walter Steinmeier mit am Kabinettstisch. Ihn treffen die Behauptungen besonders empfindlich, zumal er schon in den Darstellungen zum Grad der Informiertheit der Bundesregierung bei den CIA-Gefangenen-Transporten in Europa keine besonders glückliche Figur abgab.

Affront gegen Steinmeier?

Steinmeier war unter Schröder Chef des Bundeskanzleramts und als solcher auch für die Aufsicht der Geheimdienste zuständig. Damit wäre eine gezielte Indiskretion, wenn es sich denn um eine solche handeln sollte, vor allem ein politischer Affront gegen ihn.

Aber auch das Dementi der Bundesregierung hat Plausibilität. Die Behauptung, dass ausgerechnet der deutsche Geheimdienst den zum Angriff bereiten Amerikanern Saddams geheimste Verteidigungspläne verriet, ist lächerlich. Dass die Iraker ihre Hauptstadt in gestaffelten Ringen verteidigen wollten, konnte jeder - der es hören wollte - in den Tagen vor dem Kriegsausbruch erfahren. Auch in Washington. Das war bei den US-Militär-Experten und in den Denkfabriken bereits Allgemeingut.

Auf den BND angewiesen

Brisanter ist da schon die Tatsache, dass man offenbar auch in US-Kreisen noch während des Krieges mit den Informationen der beiden BND-Mitarbeiter plante, weil man selber über keine glaubwürdigen Informanten in Bagdad verfügte. Seltsam nur: Zu diesem Zeitpunkt hatte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Deutschen bereits in eine Kategorie mit Libyen und Kuba eingeordnet.

Die Scheinheiligkeit, mit der auf beiden Seiten die Öffentlichkeit getäuscht wurde, ist der eigentliche Skandal. Daran wird auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss in Berlin wenig ändern. Zumal in ihm sicher keine amerikanischen Generäle oder Politiker aussagen werden.

Für die deutsch-amerikanischen Beziehungen kommt die vermeintliche Enthüllungsstory einer Zustandsbeschreibung gleich: Das Waschen schmutziger Wäsche gehört offenbar doch noch nicht der Vergangenheit an.