1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Haltung entwaffnet Erpresser

Fuchs Richard Kommentarbild App
Richard A. Fuchs
7. Juni 2017

Die Bundesregierung hat den Abzug deutscher Soldaten aus Incirlik beschlossen. Der  vorläufige Tiefpunkt eines langen Streits mit der Türkei. Und der richtige Moment, die Beziehungen umzukrempeln, meint Richard Fuchs.

https://p.dw.com/p/2eFA1
Ankara Bundesaußenminister Sigmar Gabriel SPD trifft den Außenminister der Republik Türkei Mevluet Cavusoglu
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel am Montag in Ankara mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlut CavusogluBild: Reuters/U. Bektas

Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hätte sich seinen letzten Vermittlungsversuch im Fall Incirlik sparen können, sagen jetzt viele. War doch klar, dass der Abzug deutscher Soldaten aus der Türkei zwangsläufig kommen musste. Zu lange ist die türkische Regierung dem Bundestag auf der Nase herumgetanzt.

Es ist also gut, dass jetzt Klarheit herrscht. Jetzt weiß die türkische Seite, dass sie gegenüber Deutschland ein Faustpfand weniger in der Hand hat. Und jetzt weiß die deutsche Öffentlichkeit, dass die Bundesregierung sich von Staatspräsident Erdogan nicht alles gefallen lässt.

Erpresser verhandeln ungern lange 

Doch hätte man all das früher und mit weniger Geschrei haben können? Vermutlich nicht. Denn das monatelange Herumlavieren der deutschen Politik war zwar weder preisverdächtig noch schön anzusehen. Ein Fehler war es dennoch nicht - ganz im Gegenteil. Bis an die Grenze der Selbstverleugnung bemüht sich die deutsche Diplomatie um die ausgestreckte Hand zum Dialog. Auch wenn die Mehrheit der Deutschen inzwischen der Überzeugung ist, dass die Türkei unter Erdogan hierfür ein denkbar schlechter Partner ist.

Ein kühler Kopf, wie ihn Gabriel bei seinem letzten Vermittlungsversuch in Ankara bewiesen hat, lohnt sich dennoch: Auch wenn türkische Minister vor ihrem Verfassungsreferendum die Deutschen als Nazis verunglimpft haben, dann bleiben wir trotzdem zivilisiert. Hier hat ein deutscher Minister auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in sachlichem Ton und sehr geduldig geantwortet. Und er hat weder gegen die Opposition noch das Parlament als Ganzes gehetzt, sondern deren Positionen im Blick behalten!

Haltung, auch wenn es wirtschaftlich wehtut

Derlei Außenpolitik mit Haltung wünscht man sich als durchgängiges Prinzip viel öfter. Gerade auch mit Blick auf die vielen anderen Bereiche, in denen Deutschland mit der Türkei kooperiert. Oft fehlt hier ein Werte-Kompass. Das wird besonders augenscheinlich bei den Wirtschaftsbeziehungen.

Fuchs Richard Kommentarbild App
Richard Fuchs, Korrespondent im DW-Hauptstadtstudio

Wirtschaft und Politik wurden von deutscher Seite bisher feinsäuberlich getrennt - was sich bei den führenden Köpfen der deutschen Wirtschaft eingebrannt hat. Wie anders ist es zu verstehen, wenn ein hochrangiger Wirtschaftsvertreter nach dem türkischen Verfassungsreferendum fordert, jetzt schnell und geräuschlos zum Tagesgeschäft zurückzukehren. Ernsthaft? 50.000 politische Gefangene, ein dank eines manipulierten Referendums entmachtetes Parlament - und die deutsche Wirtschaft will sich einfach so wegducken?

Es scheint, als hätte die deutsche Außenpolitik viel zu lange auch nach innen die falschen Signale gesendet. Erfrischend wäre es da, wenn sich die Bundesregierung wieder häufiger für die Menschenrechte als Kriterium im Außenhandel einsetzen würde. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Das würde zwar auch intern für Streit sorgen. Aber das Ergebnis dürfte dem Erpresser vom Bosporus ganz und gar nicht gefallen: Denn die darbende türkische Wirtschaft wird nicht allein von chinesischem und russischem Geld revitalisiert werden. Europäische Investitionen sind notwendig, und wenn Präsident Erdogan zuvor in Sachen Menschenrechten liefern muss, könnte das ein heilsamer Schock sein. Ja, das wird die deutsche Wirtschaft Aufträge kosten. Aber welcher deutsche Mittelständler glaubt wirklich, dass seine Investitionen in der Türkei langfristig sicher sind, wenn dort künftig Todesstrafe und Willkür herrschen?

Die Türkei ist Beweise schuldig

Es lohnt sich für Deutschland also langfristig, unbequem zu sein. Das gilt auch im Umgang mit den willkürlichen Verhaftungen hunderter Journalisten, darunter auch die Deutschen Denis Yücel und Mesale Tolu. Und das gilt auch im Umgang mit der Festnahme des türkischen Chefs von Amnesty International, Taner Kilic, an diesem Mittwoch.

Wenn sie alle und die anderen 50.000 derzeit Inhaftierten mit dem Prediger Fethullah Gülen und dem Putschversuch vom vergangenen Sommer sympathisiert haben - wieso gibt es dann keine öffentlichen Prozesse, die das nachvollziehbar belegen? Wieso hat die Türkei kein Interesse an internationalen Beobachtern, um gemeinsam den Putschversuch aufzuarbeiten? Eine Türkei, die von Deutschland auf Augenhöhe behandelt werden möchte, muss die vermeintliche Schuld der Inhaftierten rechtsstaatlich korrekt beweisen. Gelingt das nicht, und davon ist auf der Grundlage bisheriger Erkenntnisse auszugehen, muss dies Folgen haben. Das ist kein Plädoyer für Strafmaßnahmen, aber wohl ein Plädoyer, die eigenen Grundsätze und Regeln in den Außenbeziehungen wieder selbst ernster zu nehmen.

Sie können unterhalb dieses Artikels einen Kommentar abgeben. Wir freuen uns auf Ihre Meinungsäußerung!