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House of Cars

Henrik Böhme16. April 2015

Die dramatische Führungskrise beim Autobauer Volkswagen macht vor allem eines deutlich: Die Struktur des Konzerns ist seiner Größe nicht mehr angemessen und bedroht dessen Existenz, meint Henrik Böhme.

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VW-Konzern mit starkem erstem Halbjahr
Bild: picture-alliance/dpa

Reibung erzeugt Wärme. Ingenieure wie Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn wissen das nur zu gut. Und sie wissen auch: Zuviel Reibung bringt einen Motor zum Platzen. Und dass es zum großen Knall kommen musste, war nur eine Frage der Zeit.

Denn Ferdinand Piëch ist nicht nur ein ausgewiesener Automann, sondern auch ein ausgesprochener Machtmensch, der ein Hobby hat: Spitzenmanager abservieren. Martin Winterkorn ist nicht sein erstes Opfer. Auch den einstigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking ließ er über die Klinge springen, ebenso den früheren VW-Chef Bernd Pischetsrieder. So, wie er jetzt seinen Ziehsohn Winterkorn mit nur einem Satz zur Strecke brachte, so tat er es auch mit Wiedeking und Pischetsrieder.

Nun weiß ich nicht, was da hinter den Kulissen wirklich abgegangen ist. Niemand weiß das. Das ist auch gut so, denn normalerweise sollten Unternehmen ihre internen Querelen hinter verschlossenen Türen klären. Aber der Riese Volkswagen ist kein normales Unternehmen. Er ist das Konglomerat zweier Familienclans: Der Porsches und der Piëchs. Ein milliardenschwerer Klub. Da geht es um Macht und Prestige, um jede Menge Geld und noch mehr um Eitelkeiten. Da gönnt der eine dem anderen nicht das Schwarze unter den Fingernägeln. Wo immer es möglich ist, versucht man dem jeweils anderen ein Schnippchen zu schlagen.

Deutsche Welle Henrik Böhme Chefredaktion GLOBAL Wirtschaft
Bild: DW

Das geht nun schon Jahrzehnte so.

Na und? Volkswagen ist Europas Nummer Eins und auf dem Weg, der Weltmarktführer zu werden. Das war nicht immer so; in den 1990er Jahren stand das Unternehmen kurz vor der Pleite. Der Retter hieß: richtig! Ferdinand Piëch.

Porsche ging es nicht besser. Der von Piëch entsandte Retter Wiedeking brachte den Laden wieder in Ordnung, wollte schließlich sogar VW übernehmen. Am Ende kam es umgekehrt. Ein Lehrstück der Wirtschaftsgeschichte. Strippenzieher: Natürlich Ferdinand Piëch. Aber irgendwann kommt die Zeit, da kommt man mit solch antiquierten Führungsstrukturen nicht mehr weiter.

Zuviel steht auf dem Spiel.

Der Zoff zwischen den Familien reicht locker als Stoff für mehrere Staffeln einer neuen Serie: "House of Cars". Oder eine deutsch-österreichische Variante der Erdöl-Saga "Dallas". Ferdinand Piëch als J.R. Ewing. Er müsste sich kaum verstellen, nur sich selbst spielen. Aber Spaß beiseite. Hier geht es um die raue Wirklichkeit, um hunderttausende Arbeitsplätze in Deutschland und vielen anderen Ländern. Mehr noch: Die Zukunft des VW-Konzerns steht auf dem Spiel.

Natürlich wünsche ich mir auch durchsetzungsfähigere Aufsichtsräte, die ihren Vorständen wirklich auf die Finger klopfen, wenn die Dinge aus dem Ruder laufen. Aber so wie das im Hause Volkswagen läuft, kann das nur in die Hose gehen. Die Zeiten von Patriarchen sind vorbei.

Martin Winterkorn hat eine extrem gute Bilanz vorzuweisen. In seiner achtjährigen Amtszeit legten die Auslieferungen um über 60 Prozent zu. Der Aktienkurs verdreifachte sich. Die Zahl der Beschäftigten hat sich fast verdoppelt auf heute knapp 600.000.

Piëchs Vorwurf an Winterkorn: Er habe für den US-Markt kein Erfolgsrezept und verliere in China Marktanteile. Aber reicht das als Kündigungsgrund? Schließlich hatte auch Piëch dem fürstlichen Gehalt von Winterkorn zugestimmt.

Nein, es ist anders: Ich glaube, der Konzern ist schon länger auf dem falschen Weg. Dieser unbedingte Wille, die weltweite Nummer Eins zu werden. Warum? Kauft jemand ein Auto, weil der Konzern die Nummer Eins ist? Mittlerweile zwölf Marken unter einem Dach - vom Ein-Liter-Auto bis zum 40-Tonner. Unbeherrschbar, teuer und extrem fehleranfällig: Marken aus einem Haus, die sich gegenseitig kannibalisieren. Und eine Führungsstruktur wie ein Politbüro. Einer hat das Sagen, der Rest muss machen. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Der Konzern braucht neue Leute und eine dezentrale Führungsstruktur. Verantwortung muss auf mehr Schultern verteilt werden. Ferdinand Piëch sollte sich zur Ruhe setzen. Das wäre ein letzter großer Dienst an seinem Lebenswerk.