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Inszenierte Konfusion

Volker Wagener19. März 2015

Der gestreckte Mittelfinger von Giannis Varoufakis zur besten Sendezeit im deutschen Fernsehen. Seither Debatten über Fakes, Dementis und Fake-Fakes. Das eigentliche Problem interessiert niemand, meint Volker Wagener.

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Screenshot Varoufakis Stinkefinger YouTube
Bild: Screenshot YouTube

Was für ein Coup, Herr Böhmermann! Habe lange nicht so viel Konfusion in der digitalen Medienwelt erlebt. Der Fake-Fake hat sie alle aufgemischt: gestandene Politiker, erfahrene Medienprofis und die hysterischen Netz-Junkies sowieso. Und so ganz nebenbei hat das tolle Stück über den berühmtesten Finger die ohnehin schon verfahrene deutsch-griechische Beziehungskiste noch mal so richtig explosiv gemacht. Gratulation an den TV-Satiriker, der uns mit #Varoufake gezeigt hat, wie effekthaschend unsere hektische Medienwelt inzwischen ist. Die Rezeptur für eine inszenierte Empörung ist einfach: Eine umstrittene Person des öffentlichen Lebens, eine weltweit funktionierende obszöne Geste und das alles eingebettet in einen unterstellten Kontext. Fertig ist der Skandal. So weit, so schlecht.

Was mich mittlerweile - nebenbei bemerkt - gar nicht mehr interessiert, ist die Frage, welches Video nun echt und welches gefälscht ist. Oder ob nur so getan wurde, als wäre Hand angelegt worden an den Mittelfinger des griechischen Finanzministers. Geschenkt! Satiriker unterliegen großzügigeren Gesetzen als der gemeine Journalist. Was mich an dem ganzen Tamtam um den prominentesten aller Finger wirklich interessiert, ist die kollektive Irritation, die da angezettelt wurde.

Denn wir empören uns so gerne

Nehmen wir als Beispiel nur mal die aufgescheuchten Medien. Und zwar die von der seriösen Art, die Öffentlich-Rechtlichen. Das Erste - ganz scharf auf Quote und deshalb gierig interessiert an Aufreger-Material - präsentiert mit dem Gestus "schaut mal, was wir da im Netz gefunden haben!" scheinbar unschuldig die Böse-Finger-Rede Varoufakis' gegen Deutschland. Talk-Master Günther Jauch, seit Jahren im deutschen Fernsehen als Lieblings-Schwiegersohn vom Dienst unterwegs, raubt dem selbstgefälligen und aufreizend anmaßenden Griechen damit vor laufenden Kameras den letzten Rest an Seriosität und Glaubwürdigkeit.

Das alles sekundiert von "Bild", dem Massenblatt der Deutschen. Der schnittige Kassenwart von Athen wurde dort zur Freude der einfachen Leserschaft schon seit Wochen zum Feindbild aufgebaut. Tatsächlich hatte Varoufakis 2013 aber nur hypothetisch den bösen Finger gezeigt und auf das Jahr 2010 verwiesen. Damals hätten die Griechen den Deutschen den längsten aller Finger zeigen können. Haben sie aber nicht. Die ARD hat einfach den wahren Kontext unterschlagen und damit den Anschein erweckt, der flotte Grieche habe den Deutschen schon damals gedroht. Ohne diese Unterschlagung wäre die politische Aussage und die obszöne Geste nicht annäherungsweise so sensationell rüber gekommen.

Deutsche Welle Volker Wagener Deutschland Chefredaktion REGIONEN
DW-Redakteur Volker WagenerBild: DW

Quote machen mit Brandbeschleunigern

5,2 Millionen TV-Zuschauer waren am Sonntag Zeuge des Aufreger-Videos, seitdem wird der Clip im Sekundenrhythmus aufgerufen und die Twittergemeinde echauffiert sich. Das alles auf dem Höhepunkt des griechischen Existenzkampfes, bei der Angela Merkel die Causa Athen zur Chefsache macht und den griechischen Premier nach Berlin geladen hat. Die Talk-Show Günther Jauchs ist nicht nur Abbild fragwürdiger Medienpraktiken und schlampiger Recherche. Sie ist auch ein Beispiel dafür, wie durch Reduktion komplexe Sachverhalte entstellt und mit Effekthaschereien Stimmungen erzeugt werden. Dabei ist das deutsch-griechische Verhältnis aktuell schon genug belastet - es braucht keine weiteren medialen Brandbeschleuniger.

Das satirische Schurkenstück des Jan Böhmermann dagegen hat allen vor Augen geführt, wie leicht im digitalen Medienzeitalter Inhalte manipuliert werden können, so dass am Ende niemand mehr weiß, was Wahrheit und was Lüge ist. Auch das ist keine wirklich beruhigende Nachricht.