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Politik

Journalisten sind keine Geheimdienst-Helfer

21. Mai 2018

Cyber-Angriffe, Propaganda und Fake News - Sicherheitsbehörden befürchten eine zunehmende Manipulation der Öffentlichkeit. Seriöse Medien werden ihnen diese Sorgen nicht nehmen können, meint Marcel Fürstenau.

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SHIFT Sendung  Digitale Teams von Amnesty International verifizieren Videos von Menschenrechtsverletzungen.
Bild: ARD Aktuell

Wenn der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes (BfV) an die Verantwortung klassischer Medien appelliert, ist das ein bemerkenswerter Vorgang. So geschehen zu Beginn dieser Woche in Berlin auf einem Symposium zum Thema "Hybride Bedrohungen - Vernetzte Antworten". Hans-Georg Maaßen sorgt sich um die Urteilsfähigkeit einer Öffentlichkeit, die sich zunehmend über Plattformen wie Facebook, Google und Twitter informiert. Diese und andere soziale Medien, deren Inhalte oft asozial sind, prägen inzwischen das Weltbild von Millionen Menschen.

Viele von ihnen haben sich wahrscheinlich noch nie die Frage gestellt, was der Unterschied ist zwischen sogenannten "sozialen" und "klassischen" Medien ist. Bei ersteren kann jeder und jede publizieren - der Wahrheitsgehalt wir von niemandem überprüft. Die Betreiber der Plattformen unterhalten in erster Linie einen hemmungslosen Handel mit den persönlichen Daten ihrer Konsumenten und erzielen damit Milliarden-Gewinne. Mit Journalismus hat ihr Geschäftsmodell nichts zu tun. Die "klassischen" Medien müssen - so sie privatwirtschaftlich organisiert sind - zwar auch Geld verdienen, haben sie aber einen publizistischen Auftrag und Anspruch: informieren, analysieren, einordnen. Hierfür stehen auch ihre Markennamen.

Dieser Artikel ist erkennbar eine persönliche Meinungsäußerung

Öffentlich-rechtliche Medien wie die Deutsche Welle sind besonders privilegiert: Sie können ohne kommerzielle Zwänge über Politik und Gesellschaft berichten. Dieser großen Verantwortung versuchen sie so gut wie möglich gerecht zu werden, etwa indem sie auch über Geheimdienste wie den Verfassungsschutz berichten. Dieser Kommentar ist ein Beispiel dafür. Es handelt sich um eine persönliche Meinungsäußerung, die als solche klar gekennzeichnet ist.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Korrespondent Marcel FürstenauBild: DW

Das unterscheidet diesen Text von Desinformation in sozialen Netzwerken, die auf den ersten Blick nicht immer als solche zu erkennen ist. Und davon gibt es im digitalen Zeitalter mehr denn je. Als abschreckendes Beispiel gilt die US-Wahl, aus der Donald Trump 2016 als Sieger hervorgegangen ist. Welche privaten oder staatlichen Stellen beim Streuen von Fake News ihre Finger im Spiel hatten, ist letztlich unerheblich. Das Entscheidende ist: Sie wurden von Millionen Menschen geglaubt. 

Deutsche Medien erfüllen ihre Aufgabe noch immer ganz gut

Unter dem Eindruck solcher Manipulationen warnte der deutsche Verfassungsschutzpräsident oft und eindringlich vor ähnlichen Gefahren für die Bundestagswahl 2017. Seine Sorge stellte sich als unbegründet heraus, wie der Fake News-Experte Alexander Sängerlaub in einer aufwändigen Studie belegte. Hat Hans-Georg Maaßen also grundlos übertrieben? Wahrscheinlich nicht, aber er hat vielleicht die Qualität der deutschen Medienlandschaft unterschätzt. Die ist in ihrer Vielfalt immer noch stark genug, um Verhältnisse wie in den USA zu verhindern.

Und trotzdem ist Maaßens Appell an die Verantwortung der Medien nachvollziehbar, weil Verlage, Funkhäuser und Online-Medien - die "klassischen" Medien also - wirtschaftlich zunehmend unter Druck geraten. Einschaltquoten und Klickzahlen sind das Maß aller Dinge bei privaten Medien. Auch Öffentlich-rechtliche unterwerfen sich zunehmend dieser fragwürdigen Logik. Und sie machen sich mehr und mehr abhängig von Plattformen wie Facebook und Twitter, die sie zur Steigerung ihrer Reichweite nutzen. Dabei konkurrieren sie mit den wirklichen Falschspielern, Lügnern, Populisten - sie alle tummeln sich auf denselben virtuellen Marktplätzen. 

In Echokammern gibt es keinen Widerspruch

Wer bei diesem immer schrilleren Wettkampf um Aufmerksamkeit die Nase vorn hat, beeinflussen nicht zuletzt die Plattform-Betreiber mit ihren ständig veränderten Algorithmen. Die sind das bestgehütete Betriebsgeheimnis. Selbst professionelle Produzenten von Fake News - private wie staatliche - kennen die Codes nicht. Aber sie agieren anders als seriöse Medien skrupellos in den sozialen Netzwerken und profitieren dabei von naiven, ahnungslosen Usern.

Westen wirft Russland Cyberatacke vor

Wer sein oft allzu schlichtes Bild von korrupten Politikern, kriminellen Flüchtlingen oder wem auch immer bestätigen haben will, ist meistens anfälliger für Halbwahrheiten und Lügen. In diesen sogenannten Echokammern ist für andere Stimmen kein Platz. Dass diese Kammern immer größer werden und nicht nur von einheimischen Populisten gesteuert werden, sondern auch aus Staaten wie Russland - diese Befürchtung treibt Sicherheitsbehörden mehr denn je um.

Der Verfassungsschutz-Chef sieht keine Gespenster

Verfassungsschutz-Präsident Maaßen sieht keineswegs Gespenster - die Gefahren sind real. Dennoch wirkt sein Appell an die seriösen Medien hilflos, diese mögen im Kampf gegen Cyber-Angriffe und Fake News ihrer Verantwortung gerecht werden. Denn er verlangt damit etwas Selbstverständliches von einer freien, kritischen Presse in einer demokratischen Gesellschaft. Ohne sie hätte die Öffentlichkeit womöglich nie vom jüngsten Hacker-Angriff auf deutsche Ministerien erfahren. Maaßen und andere Geheimdienstchefs waren - aus ihrer Sicht verständlich - hingegen über die Indiskretion verärgert.   

Dass Russland hinter der Attacke steckt, dafür mag es aus Sicht von Sicherheitsbehörden viele plausible Gründe geben. Man darf dem Kreml mit dem früheren Geheimdienstler Wladimir Putin als Präsident viele böse Absichten unterstellen. Aber jeder einzelne Vorwurf muss am Ende bewiesen werden. Deshalb sind Journalisten gut beraten, auch Einschätzungen des Verfassungsschutzes nicht als Tatsachen darzustellen. Das wäre verantwortungslos - und damit letztlich nicht im Sinne Maaßens. Denn Journalisten müssen kritische Begleiter auch von Geheimdiensten sein, nicht ihre Helfer. Nur dann machen sie ihren Job.

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