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Politik

Juncker und die Seefahrt

Barbara Wesel
13. September 2017

Es war eine optimistische Rede. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sieht Europa im Aufwind und schlägt weitgehende Reformen vor. Einige davon werden an den Mitgliedsländern scheitern, meint Barbara Wesel.

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Straßburg Rede von Jean-Claude Juncker
Bild: picture-alliance/AP Photo/J.-F. Badias

Die rhetorischen Flügel für seine Rede lieh sich der EU-Kommissionspräsident bei der Seefahrt: Europa habe wieder Wind in den Segeln, solle die Anker lichten und die Segel setzen für eine gemeinsame Zukunft. So sein Appell. Und weil Juncker gern Gefühle zeigt, verwies er auch auf seine langjährige, manchmal schmerzhafte Erfahrung als gelernter Europäer: Er appelliert an die Einigkeit und will wieder mehr Integration in der EU.

Europa mit einer Geschwindigkeit?

Das passt nicht zusammen mit einem Europa der zwei Geschwindigkeiten, wie Paris und Berlin es planen. Vor allem Präsident Macron will die Eurozone zum Kern einer stärker integrierten Gruppe von Mitgliedsländern machen. Es ist die alte Idee einer europäischen Avantgarde. Der Kommissionschef dagegen will alle EU-Länder in den Euro aufnehmen,  auch solche die wirtschaftlich hinterherhinken. Denen müsse man eben unter die Arme greifen.

Welche fatalen Folgen es aber haben kann, wenn ein schwächeres Land im Korsett der Eurodisziplin gefangen ist, zeigt sich am Beispiel Griechenlands. Dieser Plan Junckers dürfte also bei den großen Euroländern zu Boden fallen wie ein Stein. Das Gegenteil von gut ist hier wohl gut gemeint.

Barbara Wesel Kommentarbild App *PROVISORISCH*
Europa-Korrespondentin Barbara Wesel

Auch hat sich ein Europa der gleichen Geschwindigkeit nach Art der Gründungsväter längst als unpraktisch erwiesen. Das endete bei steigender Zahl der Mitgliedsländer zu oft in institutionalisiertem Stillstand. Dieser Zug ist wohl abgefahren, und zwar in die andere Richtung.

Ölzweig für Osteuropa

Die gegenwärtige Krise mit den Visegrad-Ländern wiederum umschiffte Jean-Claude Juncker elegant. Er lud andere Ostländer ausdrücklich ein, der Schengen-Zone und dem Euro näher zu kommen, vermied es aber Polen und Ungarn wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit an den Pranger zu stellen.

Das ist politisch klug, aber umschifft den Konflikt, den Kommission und EU-Regierungen mit den Abweichlern ausfechten müssen. Dieser bittere Streit gehört nicht zum positiven Bild von Europas Zukunft, das Jean-Claude Juncker zeichnet. Diese Auseinandersetzung aber muss geführt und kann nicht unter den Teppich gekehrt werden. Und sie enthält viel zerstörerisches Potential.

Klare Kante zur Türkei

Mit seiner Absage an eine EU-Mitgliedschaft der Türkei spricht der Kommissions-Chef einer Mehrheit in Europa aus dem Herzen. Und er fand dafür klare Worte. Er forderte die Freilassung der inhaftierten Journalisten und ein Ende der unverschämten Beleidigungen an die Adresse europäischer Regierungen.

Gleichzeitig will Juncker Präsident Erdogan nicht die Chance geben, der EU einen Abbruch der Gespräche anzukreiden. Die Hand der Europäer bleibe ausgestreckt für die Demokraten im Land, so die Botschaft. Und die Beitrittsverhandlungen bleiben liegen, wo sie sind: Auf Eis. Von Abbruch ist keine Rede, was immer im deutschen Wahlkampf gefordert wird. Eine Mehrheit der EU-Länder befürwortet vorerst diese diplomatische Linie, auch wenn die Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei im Licht europäischer Werte unerträglich sind. 

Gemeinsam auf große Fahrt

Dies war eine Rede, die es vielen Recht machte und machen wollte. Sie enthielt  Angebote in alle Richtungen: Investorenschutz gegenüber China für Frankreichs Präsident Macron, Lob und Unterstützung für Italien in der Flüchtlingskrise, Hilfe für Afrika und ein Bündel von Maßnahmen zur inneren Stärkung der EU. Dazu gehört eine Art europäisches FBI ebenso wie das Zusammenlegen von Präsidentenämtern in Europa.

Eine Reihe dieser Ideen dürften an den EU-Regierungen scheitern. Aber die Grundidee ist richtig. Der Brexit zwingt Europa zusammen und erhöht das Bewusstsein für seinen Wert. Die EU sollte die gute Wirtschaftslage und ihren politischen Handlungsspielraum nutzen, um ein paar nötige Reformen durchzusetzen. Denn wie jeder Segler weiß: Nach gutem Wind folgt irgendwann die nächste Flaute.  

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