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Kampf um die Seele Amerikas

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Gero Schließ
14. Dezember 2015

Donald Trump feiert weiter Erfolge. Die Amerikaner haben offenbar ihren inneren Kompass verloren. Es wird Zeit, dass Präsident Obama und das politische Establishment aufwachen und kämpfen, meint Gero Schließ.

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Porträt Freiheitsstatue New York Lady Liberty
Bild: Timothy Clary/AFP/Getty Images

Was ist los mit Amerika? Diese Frage stellen sich nicht nur viele US-Bürger, sondern immer mehr Menschen in aller Welt. Sie erkennen das Land langsam nicht mehr wieder. Diese Menschen sind tief beunruhigt. Und das zu Recht. Sie fragen sich: Wohin steuern die USA? Eine Frage, die man vor wenigen Monaten noch ohne Angstschweiß auf der Stirn beantworten konnte. Das ist jetzt anders.

Ein Präsidentschaftskandidat spaltet das Land

Donald Trump ist derjenige, der diese Fragen ausgelöst hat. Mit seinen ständig steileren Thesen bis hin zu faschistoiden Phrasen hat er das Land gespalten. Und damit gleichzeitig seine Führungsposition als Präsidentschaftskandidat der Republikaner immer weiter ausgebaut.

Denn Trump steht mit seinen Ansichten nicht alleine. Das ist das eigentliche Problem: Er findet viel Zustimmung. Auch seine jüngste Attacke - ein vollständiges Einreiseverbot für Muslime in die USA - brachte ihm bei seinen Anhängern Applaus ein. Es war die vorerst letzte einer ganzen Reihe von Provokationen, die sich gegen Muslime und Latinos richten. Trump schürt Angst und Fremdenhass. Und reüssiert damit bei einem Teil der Amerikaner.

Die Stimme einer schweigenden Mehrheit?

Trump ist der erste, der einer schweigenden Minderheit (oder gar Mehrheit?) eine Stimme gegeben hat. Sie sieht sich trotz wirtschaftlichem Aufschwung um die Früchte ihrer Arbeit betrogen. Sieht die bisherige Supermacht überall in der Welt auf dem Rückzug, fürchtet die Globalisierung und den damit einhergehenden Kontrollverlust. Und muss miterleben, wie selbst das Heimatland wehrlos dem islamistischen Terror ausgesetzt ist.

Das sind durchaus berechtigte Ängste. Und Präsident Obama schafft es offenbar nicht, sie glaubhaft aufzunehmen. Seine Ansprache aus dem Oval Office nach den Terroranschlägen im kalifornischen San Bernadino war ein Paradebeispiel: Sie klang vernünftig, intellektuell redlich und ehrlich. Doch der verstandesgesteuerte Obama kam vor allem professoral-cool herüber, wo die tief verstörten Amerikaner doch erst einmal die Demonstration von Führung und Stärke gebraucht hätten. Donald Trump ist ein Schaumschläger, ein Dampfplauderer, ein Demagoge. Doch er ist für viele Amerikaner der starke Mann, nach dem sie sich sehnen.

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Gero Schließ, DW-Korrespondent in Washington

Verstoß gegen alle Grundwerte Amerikas

Trump hat mit der Forderung eines Einreiseverbotes für Muslime eine ganze Religionsgemeinschaft diskriminiert. Das war ein Anschlag auf die Seele Amerikas! Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika müssten sich eigentlich im Grab herumdrehen. Gleich reihenweise stellt Trump die Grundwerte, für die Amerika steht, zur Disposition: Religionsfreiheit, Menschlichkeit und eine Willkommenskultur für die Verfolgten dieser Welt. Darauf haben sich die Amerikaner seit Generationen verständigen können. Trump tritt diese Werte mit Füßen und muss dafür nicht büßen. Auch wenn sich jetzt erstmals die Parteiführung der Republikaner gegen ihn stellt - ihm scheint selbst das nichts anhaben zu können. Stattdessen fordert er das Partei-Establishment heraus, droht mit einer unabhängigen Kandidatur - und wieder folgen ihm laut Umfragen die meisten seiner Anhänger.

Man muss lange in die Geschichte Amerikas zurückgehen, um einen vergleichbaren Zuspruch für einen Demagogen zu finden. In den 1930er-Jahren war es der katholische Prediger Father Coughlen, der mit antisemitischer Agitation ein Millionenpublikum am Radio um sich sammelte.

Offenbar hat Amerika seinen Kompass verloren. Immer mehr Menschen sind bereit, ihren Way of Life aufzugeben. Statt Freiheitsliebe und unverbrüchlichem Optimismus lassen sie sich von Angst und Aggression leiten. Das könnte sich zuspitzen zu einem Kulturkampf um die Seele Amerikas, um die Identität dieses großen und starken Landes, das so gerne Vorbild für die Welt sein will.

Die Politische Elite hat das Problem noch nicht erkannt

Es sieht nicht so aus, als ob Präsident Obama und das politische Establishment in Washington dieses Gefahrenpotenzial bereits erkannt hätten. Sie müssen endlich aufwachen und kämpfen. Dass die bisherigen Reaktionen auf Trumps Tiraden verpufften und diesen eher stärkten, ist kein gutes Zeichen. Es zeigt, wie weit die Erosion der poltischen Glaubwürdigkeit schon reicht.

Für Deutschland und Europa sind das keine guten Nachrichten. Die Zeiten, in denen man die USA - bei aller berechtigten Kritik - am Ende immer noch als eine sichere Bank für Verlässlichkeit und Stabilität ansehen durfte, könnten bald vorbei sein. Doch für europäische Überheblichkeit gibt es keinen Grund. Was den Amerikanern Trump ist, ist zum Beispiel den Franzosen Marine Le Pen. Auch wenn es am Wochenende nicht zum Wahlerfolg reichte, so demonstriert die Führerin des Front National, dass sie mehrheitsfähig sein kann.

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