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Politik

Serebrennikow und der Kampf in Russland

Soric Miodrag Kommentarbild App
Miodrag Soric
25. August 2017

Dass ein namhafter Künstler mit dem Staat in Konflikt gerät, ist in der russischen Geschichte wahrlich kein Einzelfall. Denn Kunst in Russland ist auch immer ein Ringen um die Zukunft des Landes, meint Miodrag Soric.

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Russland Regisseur Kirill Serebrennikov
Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Zemlianichenko

Wenn es ein Land gibt, in dem Kunst fast immer politisch ist, dann Russland. Und das nicht erst seit der Festnahme von Kirill Serebrennikow in Sankt Petersburg. Schon ziehen viele Parallelen zu der Festnahme eines anderen Großen der russischen Bühnenkunst, zu Vsevolod Meyerhold. Auch er war ein großer Regisseur und Theaterdirektor. Und auch er wurde Ende der 1930er-Jahre in Leningrad - dem heutigen Sankt Petersburg - festgenommen und in Moskau vor Gericht gestellt.

Doch da endet auch der Vergleich. Meyerhold wurde brutal gefoltert, vor ein stalinistisches Gericht gestellt und hingerichtet. Bei aller Kritik an der derzeitigen Führung im Kreml: Sie ist weit entfernt von dem Ausmaß der Repressalien unter den Kommunisten.

Künstler als Kämpfer für mehr Freiheit

Was allerdings richtig ist: Viele russische Künstler verstanden sich und verstehen sich auch heute noch als Kämpfer für mehr Freiheit - und das in allen Lebensbereichen: in der Kultur, im gesellschaftlichen Leben, in der Politik. Dazu gehört auch Kirill Serebrennikow. Er liebt die Provokation, er nimmt kein Blatt vor den Mund. In den vergangenen Jahren kritisierte er Russlands militärische Auseinandersetzung mit Georgien, verurteilte das militärische Vorgehen der Separatisten im Osten der Ukraine, verteidigte öffentlich die provokativen Aktionen von „Pussy Riot". Damit eckt er im Kreml an. Doch selbst Serebrennikows Gegner geben zu: Seine Kunst hat Substanz. Zehntausende schätzen seine Inszenierungen, in Russland und anderswo. Was ihn bei reaktionären Kulturpolitikern umso verdächtiger macht.

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Miodrag Soric ist Korrespondent in Moskau

Es gab eine Zeit, in der er übrigens mit dem Kreml kooperierte. 2010 und 2011 etwa gab ihm der Staat Millionen für seine Aufführungen. Und er nahm das Geld an. Doch damals hieß der Präsident Medwedjew. Dessen Administration förderte den Kunstbetrieb - ohne sich in die Inhalte einzumischen. Heute weht ein anderer Wind. Wer jetzt staatliche Fördergelder annimmt, weiß, dass damit eine Erwartungshaltung verbunden ist: „Wessen Brot ich esse, dessen Lied ich sing." Der Kreml will, dass die nationale Kunst patriotisch ist und bestimmte Grenzen - die es teilweise ja auch in westlichen Ländern gibt - nicht überschreitet.

Für Serebrennikow war die Freiheit immer das Recht, der Politik zu sagen, was sie nicht hören will. Deshalb steht er jetzt unter Hausarrest. Doch sein Schicksal ist nur eines von vielen. Probleme mit dem Staatsapparat haben Rockgruppen wie „Maschina Vremini" oder die Sängerin Diana Arbenina von der Band „Nächtliche Sniper" (Notschnije Sniper). Und die Liste ließe sich fortsetzen.

Kunst als Kampf um den Kurs des Landes

Was einen tröstet, ist ein Blick in die russische Geschichte: Im 19. Jahrhundert stritten so genannte „Westler" und „Slawophile" auch über die Frage, was „russische Kunst" sei. Schriftsteller halfen Anfang der 1960er-Jahre dem Kreml, den Götzen Stalin vom Sockel zu stürzen. Nach dem Tauwetter folgte eine umso striktere Zensur. Doch spätestens mit der Perestrojka-Zeit kam die Wahrheit über die kommunistischen Verbrechen ans Tageslicht.

Kurzum: Russlands Kulturgeschichte ist ein ständiges Auf und Ab von mehr von mehr oder weniger Repression; ein Kampf, bei dem es nicht nur um Kunst geht, sondern um Werte, um die Richtung, die das Land einschlagen soll. Serebrennikow will mehr Freiheit, den Sieg liberaler Werte. Genau deshalb harrten bei seiner Anhörung über Tausend Menschen stundenlang vor dem Moskauer Gericht aus und unterstützen ihn mit lautem Sprechgesang. 

Eben weil es diese Menschen, weil es das Ringen nach Freiheit - auch innerer Freiheit - gibt, kann man an Russland glauben. Es zu verstehen, fällt nicht immer leicht.

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