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Kommentar

Bernd Riegert, zurzeit Lahti21. Oktober 2006

Noch sind die Europäer besorgt, was die Zusammenarbeit mit Moskau auf dem Energie-Sektor betrifft. Dabei haben sie allen Grund, genauso selbstbewusst auftzutreten wie der russische Präsident, meint Bernd Riegert.

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Bernd Riegert

Die Europäische Union hat keinen Grund, vor Russland zu kriechen oder einzuknicken. Natürlich ist Russland der größte Gaslieferant für die EU, aber auch die Union hat etwas in der Hand. Zusammengenommen sind die bald 27 Mitgliedsstaaten der größte Kunde des russischen Gasriesen. Unterschwellige russische Drohungen mit Liefer-Einschränkungen sollten zurückgewiesen werden, denn die Abhängigkeit besteht auf beiden Seiten. Russland braucht das Geld aus dem Geschäft mit den Europäern fast genauso dringend wie die Europäer das Gas und Öl.

Die russischen Staatskonzerne lassen gerne verlauten, man könne das Gas auch nach Asien verkaufen, aber so einfach ist das nicht. Bis die Vertriebswege so gut ausgebaut sind wie nach Europa, werden noch einige Jahre vergehen. Es wäre daher gut, wenn beide Seiten, die EU und Russland, enger zusammenarbeiten. Russland braucht ausländische Investitionen und ausländisches Know-how auf seinen Öl- und Gasfeldern. Viele der alten Förderanlagen und Pipelines sind völlig marode und müssen ersetzt werden. Das weiß auch der russische Präsident Wladimir Putin. Der Versuch, internationale Energiemultis von den russischen Feldern fernzuhalten, ist deshalb falsch.

Eine Hand wäscht die andere

Wenn die Europäer Zugang zu den russischen Energiequellen erhalten wollen, müssen sie umgekehrt auch russische Unternehmen auf dem europäischen Transport- und Verteilmarkt für die Energie zulassen. Das heißt praktisch: Wenn Shell in Sibirien Gas fördert, muss Gazprom sich an den Stadtwerken von Oberhausen oder München beteiligen dürfen. Eine Hand wäscht die andere. Das wäre der Sinn der viel beschworenen Energie-Charta. Doch gegen diese Charta gibt es auf beiden Seiten reichlich Vorbehalte.

Die Europäische Union tut gut daran, gemeinsam eine differenzierte Energiepolitik zu entwickeln. Mit der Suche nach alternativen Lieferanten und Energiequellen signalisiert sie den sehr selbstbewußt auftretenden Russen, dass die Abhängigkeit vom Putin-Reich verringert werden soll. 80 Prozent der weltweiten Reserven an fossilen Brennstoffen befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft der EU. Wichtig ist die forcierte Zusammenarbeit mit Norwegen, Algerien, Aserbaidschan und Kasachstan, allesamt Lieferanten mit Potential. Die Türkei spielt bei diesen Überlegungen als Drehscheibe für den Energiehandel, etwa aus der Region des Kaspischen Meeres und Zentralasien, eine lebenswichtige Rolle. Ein Grund mehr, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei nicht scheitern zu lassen.

Faustpfand alternative Energien

Richtig ist auch, Russlands Energie-Zaren deutlich zu machen, dass die EU-Staaten durch Energieeinsparung ihren Verbrauch drastisch reduzieren wollen. Die Suche nach nicht-fossilen Energiequellen muss vorrangiges Ziel der EU-Energiepolitik sein, um Russland und anderen Lieferanten wie den OPEC-Staaten zu signalisieren, dass die EU sich unabhängiger machen will. Die führende Stellung der EU bei den Techniken zur Energieeinsparung kann man auch gegenüber als Russland Faustpfand nutzen. Die russische Wirtschaft verschwendet ungeheure Mengen an Energie, weil sie nicht effizient arbeitet. Präsident Putin muss ein großes Interesse an Verbesserungen haben, denn auch die russischen Öl- und Gasvorräte reichen nicht ewig.

Nationale Vorbehalte überwinden

Die Einsicht, dass die EU eine gemeinsame Energiepolitik braucht, ist nach dem zeitweiligen russischen Lieferstopp an die Ukraine zu Jahresbeginn schnell gereift. Ebenso schnell sollten die Mitgliedsstaaten mit ihren 500 Millionen Konsumenten jetzt nationale Vorbehalte überwinden und möglichst schnell eine Art Einkaufsgenossenschaft gründen, um bei den Lieferanten gute Konditionen rausschlagen zu können.

Einfacher wäre die Kooperation mit dem Energielieferanten Russland, wenn man dem Präsidenten Putin vorbehaltlos trauen könnte. Leider hat er mit seiner Erpressung der Ukraine im Januar Glaubwürdigkeit verspielt. Die derzeitige Machtprobe mit Georgien, die Morde an kritischen Journalisten, das Vorgehen in Tschetschenien und viele andere Dinge mehr, tragen nicht dazu bei, das Vertrauen zu steigern. Die EU muss die Defizite in der russischen Demokratie bis zu einem gewissen Maße hinnehmen, weil sie Russland braucht. Aber es gibt Grenzen für die so genannte strategische Partnerschaft, die schnell erreicht sein könnten, wenn Russland weiter auf die nationale oder gar imperiale Karte setzt. Das sollte Präsident Putin wissen.