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Politik

Martin Schulz und die neue Liebe der Gewerkschaften

21. Februar 2017

Der SPD-Kanzlerkandidat wird endlich konkret und deutet an, wo in der Sozialpolitik er umsteuern will. Und die alte linke Seele wärmt sich. Solche Emotionen könnten letztlich den Wahlkampf prägen, meint Christoph Strack.

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Martin Schulz vor Bauarbeitsgeräten
Bild: picture-alliance/dpa/F. Gentsch

Schon funktioniert die Lagerbildung wieder: Martin Schulz hat - nach vielen, demonstrativ lauten Forderungen aus der Union - konkretere Ziele seiner künftigen Politik benannt und will die Arbeitsmarktpolitik gerechter gestalten. Da empören sich Arbeitgeber und Wirtschaftsverbände gemeinsam, da kuschelt die verwundete Gewerkschaftsseele mit dem Kandidaten.

Neue Lichtgestalt der Sozialdemokratie

"Zeit für mehr Gerechtigkeit" - unter diesem Motto tourt die neue Lichtgestalt der Sozialdemokratie seit Sonntag durch Deutschland. Auftakt in Lübeck, am Montag dann, fein inszeniert, Bielefeld, in den nächsten Wochen Leipzig, Würzburg oder Worms. Wo auch immer - er wirbt in klassischem sozialdemokratischem Milieu. Oder sollte man sagen: in Milieus, die einst klassisch sozialdemokratisch waren?

Schulz will, so viel kündigt er an, Änderungen beim Arbeitslosengeld I, will auch die Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse reduzieren und eine neue Mindestrente. Das alles sind Kernpunkte klassischer SPD-Politik. Und es würde Kursänderungen an jener "Agenda 2010" bedeuten, mit der der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder vor gut zehn Jahren Deutschland aufgestellt hat für den internationalen Wettbewerb.

Emotionen prägen den Wahlkampf

Natürlich kommt jetzt direkt breite Kritik von den Arbeitgebern. Aber wenn der Präsident des Münchner Instituts für Wirtschaftsforschung, Clemens Fuest, in einem Zeitungsgespräch warnt, "bei undifferenzierter Rückabwicklung der Agenda drohen Gefahren für den Arbeitsmarkt und für das Wirtschaftswachstum in Deutschland", dann möchte man von ihm doch gerne wissen, was wohl eine differenzierte Rückabwicklung wäre.

Wahlkampf ist Emotion. Viele in der Union wissen, dass Kanzlerin Merkel als Amtsinhaberin und CDU-Frontfrau für sehr vieles steht, aber Emotionen nicht wirklich zu wecken vermag. Genau das könnte das Problem der CDU werden im Wahljahr 2017. Und manche Polemik aus dem C-Lager zeigt, dass ihre Urheber genau das wissen.

Strack Christoph Kommentarbild App
Christoph Strack ist Korrespondent im HauptstadtstudioBild: DW

Dagegen kommt dann mit Martin Schulz einer, der von manchen Journalisten wegen seines fehlenden Abiturs oder seiner früheren Alkoholprobleme gebrandmarkt wurde, der aber mit dieser Biografie und manchem anderen genau die alte sozialdemokratische, ja linke Seele rührt. Mit Stimmungen, mit Bildern. Auch Kanzlerin Merkel hat bisher als Kümmerin mit manchem Stück Symbolpolitik diese Klientel bedient. Und jetzt?

Vieles an Schulz Ankündigungen kann man aus wirtschaftsliberaler Sicht in Frage stellen. Aber geht es wirklich und allein darum? Wer so denkt, verweist auf historisch hohe Beschäftigungszahlen in Deutschland und die geringe Arbeitslosigkeit. Dass gleichzeitig aber auch die für Engagement in Parteien oder Zivilgesellschaft wichtige Mittelschicht seit Jahren schwindet, sagt allerdings niemand. Auch nicht, dass es einen Teil der Bevölkerung gibt, der abgehängt ist. Und dieser gefühlte Bruch ist einer der entscheidenden Gründe für das Erstarken links- und rechtspopulistischer Positionen.

Wenn Totes auferweckt wird

Unionspolitiker haben Martin Schulz früh als "Messias" verspottet. Das haben sie jetzt davon - nun macht sich der Heilsbringer aus Würselen auch noch daran, Totes aufzuerwecken: die seit Jahren leblose Bindung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die aus dem Industriezeitalter stammt und spätestens mit der "Agenda 2010" kollabierte. Wut und zuweilen sogar Hass schlugen Gerhard Schröder aus dem Gewerkschaftslager entgegen, als er 2005 in den Wahlkampf zog.

Nun tourt Martin Schulz ganz unbefangen durchs Land. Da er an keinem Kabinettstisch sitzt und keinem Parlament mehr angehört, kann er schon voll im Wahlkampfmodus fahren und Stimmungen austesten. Es mag tatsächlich sein, dass die Bundestagswahl 2017 die Deutschen vor die Frage stellt, in welcher Republik sie künftig leben wollen. Aber diesem Land tut ein engagierter, emotionaler, ernster Wahlkampf gewiss gut.

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