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Kommentar: Krisen-Rezepte fehlen

Bernd Riegert14. Juni 2012

In ihrer Rede zur Schuldenkrise und zum G20-Gipfel hat Angela Merkel bekannte Positionen wiederholt. Hat die Bundeskanzlerin keine neuen Ideen oder ahnt sie, dass Deutschland mehr zahlen muss? Bernd Riegert kommentiert.

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Für Bundeskanzlerin Merkel beginnen wahrscheinlich die zwei wichtigsten Wochen ihrer bisherigen Kanzlerschaft. Es wird bei diversen Gipfeltreffen in Mexiko, Rom und Brüssel um die Rettung der Euro-Zone und der Lösung der Schuldenkrise mit ihren inzwischen weltweiten Auswirkungen gehen. In ihrer Regierungserklärung hat Angela Merkel vorsorglich vor einer Überlastung Deutschlands gewarnt, denn sie weiß die Erwartungen an Deutschland sind enorm, nicht nur in Europa, sondern rund um den Globus. "Scheitert der Euro, scheitert Europa", hat die Kanzlerin immer wieder gesagt. Sollte Griechenland nach der Wahl am Sonntag (17.06.12) im Chaos versinken, sollte Spanien in den nächsten Tagen komplett unter den Rettungsschirm flüchten und Italien weiter schlingern, dann könnte die gemeinschaftliche Währung viel schneller scheitern, als wir uns das alle vorstellen können.

Deutschland wird Risiken übernehmen müssen

Spätestens dann wird die Bundesregierung ihre bislang strikte Haltung aufgeben müssen. Platt gesagt: Angela Merkel müsste das deutsche Portemonnaie öffnen, um Schulden der südlichen Euro-Staaten zu übernehmen und deren Zahlungsfähigkeit weiter zu gewährleisten. Die USA und die Schwellenländer erwarten genau das von der Bundeskanzlerin, wenn beim G20-Gipfel in Mexiko kommende Woche die Euro-Krise das alles beherrschende Thema sein wird. Das Wirtschaftswachstum in den überschuldeten USA ist äußerst labil. Da ist Europa ein willkommener Sündenbock. Das amerikanische Rezept lautet: Druckt mehr Geld und leiht es den Bedürftigen. Dagegen hat sich Angela Merkel lange gestemmt. Wenn sich die Euro-Krise weiter zuspitzt, wird sie diese Position nicht mehr halten können, zumal sie in Europa fast schon auf einsamen Posten steht.

Deutsche Welle Bernd RiegertFoto DW/Per Henriksen 10.11.2011 DW1_7875
Bernd Riegert, EuroparedaktionBild: DW

Langfristige Pläne kommen zu spät

Die internationalen Investoren an den Finanzmärkten rechnen damit, dass Deutschland einer Lockerung der Geldpolitik durch die Europäische Zentralbank zustimmen und höhere Risiken übernehmen wird. Das lässt sich daran ablesen, dass deutsche Staatsanleihen, obwohl sie als sicher gelten, vom größten US-Investor abgestoßen werden. Außerdem steigen die Kreditausfallversicherungen für deutsche Staatsanleihen stark an. Das ist ein Indikator dafür, dass die Kreditwürdigkeit Deutschland wegen der zukünftig hohen Kosten durch die Euro-Krise sinken wird. Die Bundeskanzlerin setzt auf Haushaltsdisziplin in der Zukunft und eine wirkliche politische Union, die ihre Schulden irgendwann gemeinschaftlich aufnehmen und schultern kann. Doch diese an sich richtige Vision wird noch Jahre brauchen, bis sie umgesetzt ist. Lösungen sind aber jetzt gefragt, besser gestern als heute. Die Diskussion um gemeinschaftliche Schulden, Eurobonds, oder gemeinschaftlichen Schuldenabbau durch Tilgungsfonds muss geführt werden, doch auch diese Instrumente werden kurzfristig nicht zur Verfügung stehen. Immerhin hat die Bundeskanzlerin angedeutet, dass sie einer gemeinschaftlichen Bankenaufsicht in Europa positiv gegenübersteht. Das wäre der erste Schritt zu einer Bankenunion, in der alle europäischen Banken gegenseitig ihre Einlagen sichern.

Letzte Hoffnung Zentralbank

Die einzige kurzfristig handlungsfähige Institution mit finanzieller Schlagkraft ist die Europäische Zentralbank. Sie stützt im Moment massiv Spanien. Sie wird in den nächsten Wochen Griechenland über Wasser halten müssen, in dem sie die Banken dort mit billigem Geld versorgt. Die EZB häuft Risiken an, für die am Ende auch ihre Anteilseigner geradestehen müssen. Deutschland trägt daran den größten Anteil. Wie man es dreht und wendet: Am Ende wird jemand die Rechnung zahlen müssen. Auf die Steuerzahler in Europa und Deutschland kommen unweigerlich neue Lasten zu. Vielleicht muss es einen Solidaritätszuschlag für Europa, also eine Sondersteuer geben, um die Schuldenkrise zu bekämpfen. Bedenklich ist, dass Europa den permanenten Rettungsfonds (ESM) noch immer nicht arbeitsfähig eingerichtet hat. Der ESM sollte von Juli an eigentlich die Krisenfeuerwehr sein, doch wegen kleinlichen innenpolitischen Hickhacks ist er auch in Deutschland noch nicht vom Parlament gebilligt worden.

Europa, geführt von der Bundeskanzlerin, muss in den nächsten zwei Wochen Antworten finden, die auch die Finanzmärkte und Investoren überzeugen, sonst scheitert der Euro, und dann scheitert Europa, so wie wir es kennen.