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Politik

Keine Angst vorm Weißen Mann

Ines Pohl Kommentarbild App
Ines Pohl
18. Oktober 2016

Donald Trump verachtet Frauen. Und er hasst Schwarze. Dass nun ausgerechnet eine Rede von Michelle Obama die Sozialen Medien vor der letzten TV-Debatte rockt, trifft ihn deswegen besonders hart, meint Ines Pohl.

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Michelle Obama
Bild: Picture-Alliance/AP Photo/J. Cole

Nicht nur im politischen Washington ist es ein offenes Geheimnis: Michelle Obama kann es kaum erwarten, bis sie zum letzten Mal in den grünen Helikopter hinter dem Weißen Haus steigt und als First Lady ausgedient hat. Sie mag die Intriganz der Hauptstadt nicht, die verlogenen Hinterzimmerdeals, die Suche nach dem Machbaren, das am Ende oft nicht mehr ist als ein fauler Kompromiss. Sie sehnt sich nach frischer Luft. Will endlich wieder die Fenster aufmachen können und mit herabgelassenen Scheiben und aufgedrehter Musik über die Straßen brausen.

Disziplin und herausragende Intelligenz

Michelle Obama ist die Tochter einfacher Arbeiter, die mit Disziplin und herausragender Intelligenz in die höchsten juristischen Kreise aufgestiegen ist. Doch einmal im Zentrum der Macht angekommen, hat sie sich entschieden, dem politischen Zirkus fernzubleiben. Und wurde gerade deshalb auch von feministischer Seite heftig angegangen, dass eine Frau mit ihrer Begabung sich hauptsächlich um die gesunde Ernährung von Kindern kümmert. Es ist noch nicht lange her, dass sie gegenüber der "New York Times" erzählt hat, wie sehr sie diese Artikel getroffen haben.

An ihrer Distanz zum politischen Establishment änderte diese Kritik indes nichts. Michelle Obama blieb sich treu, erweiterte mit zunehmender Erfahrung ihre Agenda - zur gesunden Ernährung ist der Kampf für die Chancengleichheit unterprivilegierter Mädchen gekommen.

Anstatt die politische Arena zu betreten, ließ sie in Talkshows mit der lesbischen Moderatorin Ellen DeGeneres im Liegestützenwettkampf ihre Muskeln spielen, oder groovte gekonnt und mit viel Sexappeal im Carpool Karaoke. Das reichte, um Michelle in den Popstarhimmel zu heben. Gut möglich, dass sie es dabei belassen hätte, wenn nicht ausgerechnet der rassistische Frauenverachter Donald Trump angetreten wäre, um ihren Mann zu beerben. Um alles zu zerstören, wofür Barack Obama gekämpft hat.

Fulminanter Parteitagsauftritt

Das war zu viel.In einer fulminanten Rede auf dem Nominierungsparteitag von Hillary Clinton nahm sie Donald Trump auseinander, ohne auch nur einmal seinen Namen zu nennen. Schon das war ein rhetorisches Meisterwerk. Der Satz: "Ich wache jeden Morgen in einem Haus auf, das Sklaven gebaut haben. Ich sehe meine Töchter, zwei schwarze junge Frauen, auf dem Rasen des Weißen Hauses mit ihren Hunden spielen" ist schon jetzt in die Geschichtsbücher eingegangen.

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Ines Pohl ist DW-Korrespondentin in Washington

Wer dachte, damit habe die amtierende First Lady ihr Pulver verschossen, hat weit gefehlt: Wenige Tage nach der Veröffentlichung des erbärmlichen Trump-Videos explodierte Michelle bei einer Wahlkampfveranstaltung förmlich. Innerhalb weniger Stunden wurde die Aufzeichnung ihrer Rede zum Renner im Internet. Millionen applaudierten ihr für ihre schonungslose Analyse und vernichtende Kritik an Trump.

Plötzlich ist Michelle Obama die Jeanne D'Arc der Vernunft, die Gralshüterin des Anstands, vor allem aber die Löwenmutter, die die Integrität junger Frauen und Mädchen verteidigt.

Hillary Clinton kann nicht mit der selben Verachtung und dem gleichen Furor Donald Trump angreifen. Das hat zum einen mit den sexuellen Eskapaden ihres eigenen Ehemannes zu tun. Vor allem aber damit, dass Michelle Obama deswegen wirkt, weil sie authentisch ist. Sie kämpft mit geöffneten Visir und ohne strategisches Kalkül, weil sie keine Angst hat vor dem Weißen Mann.Sie muss keine Sorge haben, dass ihre Tränen des Schmerzes oder der blanken Wut einmal gegen sie verwendet werden. Denn anders als Hillary Clinton wollte sie nie dazugehören, nie Teil des politischen Establishments des weißen Wall Street-Amerikas sein.

Große Hoffnungen des Clinton-Lagers

Noch hat der Schrecken dieses Wahlkampfes kein Ende. Donald Trump wird die letzte Debatte nutzen, um Clinton mit den jüngsten Wikileaks-Veröffentlichungen anzugreifen. Und Hillary Clinton bleibt verwundbar.

Auch deshalb setzt die Clinton-Kampagne so große Hoffnungen auf Michelle Obama. Sie soll dort punkten, wo die Kandidatin besonders schwächelt - bei den jungen Amerikanerinnen und Amerikanern, die die Bernie-Sanders-Revolution wollten. Sie soll außerdem die Stimmen der African-Americans sichern und vor allem im Internet Boden gut machen, in der Schlacht in den Sozialen Medien.

Ohne Risiko ist dieses Kalkül nicht. Denn mit jedem Auftritt von Michelle Obama werden Hillary Clintons Schwächen deutlicher. Im unmittelbaren Vergleich wirkt sie alt, verbraucht, spröde und vor allem verbissen in ihrem unabdingbaren Willen zur Macht. Michelle Obama ist hingegen auch deshalb so erfolgreich, weil sie ihre innere Freiheit bewahrt hat. Die Menschen spüren, dass es ihr vor allem um die Sache geht. Und nicht um das eigene Fortkommen. Man kann sagen: Das ist gemein. Oder: Das ist Politik.

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