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Politik

Nacht in Nahost

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp
3. Januar 2017

Der Bruch der Waffenruhe in Syrien war absehbar, meint Kersten Knipp. Aber selbst wenn der Waffenstillstand hielte, dürfte die Region kaum befriedet sein. Der Konflikt hat Auswirkungen - bis nach Deutschland.

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Syrien | Kämpfer der Freien Syrischen Armee
Bild: Getty Images/AFP

Die Nachricht kam nicht wirklich überraschend: In Syrien steht der Waffenstillstand auf dem Spiel. Die Rebellen der moderaten Freien Syrischen Armee erklärten, die Truppen des Assad-Regimes hätten gegen die Waffenruhe wiederholt verstoßen. Und so sehr man sich über die Jahre abgewöhnt hatte, den Parteien unbesehen Vertrauen zu schenken, klingen die Argumente der - falls man nach fünf Jahren Krieg davon überhaupt noch reden kann - gemäßigten Rebellen plausibel. Immer wieder war in den vergangenen Jahren berichtet worden, auch die gemäßigten Rebellen hätten überhaupt keine Wahl, als weiterzukämpfen. Ergäben sie sich, würden sie umgehend in die Folterkeller des Assad-Regimes transportiert oder gleich getötet. Die Rachsucht des Regimes zeigte sich bereits kurz nach Ausbruch des Aufstands.

So könnte nun die unmittelbare Gewalt in Syrien wieder aufflackern. Aber man darf sich keine Illusionen machen: Auch ein Waffenstillstand, der womöglich irgendwann in ein Friedensabkommen gemündet wäre, hätte die Gewalt  mindestens weiter köcheln lassen. Eine irreguläre Terrorbande wie der "Islamische Staat" (IS) ist schwer zu besiegen.

Knipp Kersten Kommentarbild App
DW-Autor Kersten Knipp

Freilich ist das kein Blankoschein für Defätismus. Tatsächlich haben Russland und Iran in Syrien den IS effizient bekämpft. Dies allerdings ohne Rücksicht auf Verluste unter der Zivilbevölkerung. Und zudem durch Unterstützung eines Schutzbefohlenen - Assad -, der diese Terroristen mit unglaublichem Zynismus überhaupt hat groß werden lassen.

Tödlicher Konfessionalismus

Das Problem ist aber nicht "nur" der IS. Das Problem steckt auch in den Reihen seiner Feinde. Die schiitischen Milizen, die gegen die sunnitischen Terroristen antreten, stehen ebenso wenig jenseits des Konfessionalismus wie ihre Feinde. Für viele unter ihnen ist der entlang religiöser Fronten geführte Krieg ein Nullsummenspiel, bei dem es nur einen totalen Gewinner und einen nicht minder totalen Verlierer geben kann. Um es genauer zu sagen: Die Exekutionen auch von sunnitischen Zivilisten durch Kämpfer aus den Reihen der Eroberer von Aleppo zeigen das ebenso eindeutig wie die Gräueltaten im Umfeld der Rückeroberung der vom IS besetzten Stadt Mossul im Nordirak.

Und doch sind diese Exzesse womöglich nur der Auftakt zu den Unruhen der kommenden Jahre. Denn die Entschiedenheit, mit der der Iran, nach dem Atomdeal zu neuen Kräften gekommen, im Irak und in Syrien mitmischt, legt hegemoniale Bestrebungen geradezu zwingend nahe. Der Blick auf die Karte verrät es: Der Einfluss auf diese beiden Länder, wie auch auf den von der Hisbollah bereits jetzt zu weiten Teilen beherrschten Libanon, sichert dem Iran eine Hegemonie, die ihresgleichen sucht. Saudi-Arabien, das im Jemen einen Stellvertreterkrieg gegen Teheran führt, wäre völlig isoliert. Ein Umstand nebenbei, über den man angesichts der mindestens unklaren Haltung der Saudis zum Dschihadismus nicht sonderlich betrübt sein muss.

Auswirkungen auf den Nahostkonflikt

Der iranische Einfluss hingegen reicht nun an ein Land heran, gegen das ein früherer Präsident des Landes, Mahmud Ahmadinedschad, wüste Drohungen ausgestoßen hat. Und auch, wenn dergleichen Töne aus Teheran derzeit ausbleiben, sieht sich Israel nun einem Staat gegenüber, der seine libanesische Kampftruppe, die Hisbollah, wiederholt von der Leine gelassen hat. Der Krieg von 2006 gibt von der Gewaltigkeit der Kämpfe nachhaltiges Zeugnis.

Noch verhält sich Israel erstaunlich ruhig. Nicht ausgeschlossen, dass hinter den Kulissen verhandelt wird, beide Staaten auf ein Arrangement hinarbeiten. Wenn nicht, dürften die Spannungen steigen. Das hieße dann vermutlich auch, dass es mit der Zweistaatenlösung Israels und Palästinas absehbar nichts wird. Solange Israel einen Palästinenserstaat als Bedrohung empfindet, wird es sich neben der nun auch in Syrien installierten Hisbollah eine zweite mögliche Front kaum leisten wollen. Die Region bliebe weiter am Köcheln.

Konsequenzen für Deutschland

Für Deutschland hieße das, dass es seine Flüchtlingspolitik neu organisieren sollte, nein: muss. Menschen dürften in das Land kommen, die nach Jahren des Krieges unendlich verroht sind. Teilweise sind sie Opfer der Umstände, gewiss. Aber diese Opfer, das hat sich inzwischen durch Terroranschläge, aber auch durch eher "gewöhnliche" Kriminalität gezeigt, können auch zu Tätern werden. Ein Staat, der dem Schutz seiner Bürger verpflichtet ist, muss damit rechnen.

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Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika