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Kommentar: Neben Strafe braucht es die Aufarbeitung der Bluttaten

Peter Philipp20. Juni 2006

Seit acht Monaten läuft der Prozess gegen den irakischen Ex-Diktator Saddam Hussein in Bagdad. Die Staatsanwaltschaft hat im Schlußplädoyer die Todesstrafe gefordert. Peter Philipp kommentiert.

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Fernschreiber Autorenfoto, Peter Philipp

Der irakische Ex-Diktator Saddam Hussein war sicher nicht überrascht von der Forderung der Anklage, das Oberste Gericht möge die Todesstrafe gegen ihn und drei seiner engsten Mitarbeiter verhängen. Immer wieder hatte er dies selbst im Gerichtssaal vorausgesagt: Dies sei kein Prozess, denn die Amerikaner und ihre irakischen Kollaborateure hätten bereits im voraus beschlossen, dass er - der rechtmäßige Präsident des Landes - hingerichtet werden müsse.

Aber trotzdem: Saddam beließ es bei einem sarkastischen "recht so", als der Ankläger sein Plädoyer hielt. Er mag zu spüren begonnen haben, dass die Luft für ihn langsam dünn wird, - obwohl er doch wiederholt gehöhnt hatte, er habe schon so viele Gefahren überstanden, dass er auch vor diesem Prozess keine Furcht habe. Das einzige, was Saddam jetzt noch einige zusätzliche Jahre bescheren kann, ist die Tatsache, dass es nicht bei diesem ersten Prozess bleiben wird, sondern dass diesem mindestens noch zwei weitere folgen werden.

Details sind wichtig für Aufarbeitung

Ging es jetzt um die Ermordung von 148 Schiiten im Ort Dujail im Jahre 1982 nach einem angeblichen Attentatsversuch gegen Saddam dort, so wird ein zweiter Prozess wegen des Massenmordes an Zehntausenden von Kurden im Jahr 1988 vorbereitet. Ein dritter Prozess wegen der blutigen Niederschlagung des schiitischen Aufstandes nach dem Kuwait-Krieg soll folgen. Hierbei sollen mindestens 100.000 Schiiten brutal getötet worden sein.

Wie der jetzt seinem Ende entgegen gehende erste Prozess zeigt, bedarf es nicht all der grausamen Details, um Saddam Hussein zu überführen und gegen ihn die Höchststrafe zu verhängen. Aber dann blieben viele Einzelheiten aus der Zeit der Saddam-Diktatur weiterhin im Dunkeln. Misstrauen, Argwohn, Rachsucht und Hass würden das ihre dazu beitragen, ein erneutes Zusammenwachsen der irakischen Gesellschaft zu verhindern. Der Irak aber braucht nichts mehr als das. Und da kommt dem Prozess gegen den Ex-Diktator besondere Bedeutung zu: Es geht nicht in erster Linie darum, Saddam zu bestrafen, sondern darum, die Zusammenhänge der Bluttaten unter seinem Regime aufzudecken.

Keine Siegerjustiz

Gut, dass man dabei offensichtlich zu unterscheiden weiß zwischen Haupt-Verantwortlichen und Mitläufern. Sonst hätte der Ankläger in diesem ersten Prozess nicht für mehrere Angeklagte Freispruch gefordert. Er scheint nur zu gut zu wissen, dass eine zu "großzügige" Aufteilung der Gesellschaft in Opfer und Täter die Spaltung nur verewigen wird. Wie in allen Diktaturen gab es natürlich unzählige Mitläufer und im Irak waren das häufig in erster Linie Sunniten, die sich heute als Verlierer der Demokratisierungsbemühungen fühlen.

Wichtig ist auch, dass Saddam von einem irakischen Gericht abgeurteilt wird. Der Ankläger erinnert zwar an die Nürnberger Prozesse, wenn er von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spricht. Im Gegensatz zu Nürnberg ist das Verfahren in Bagdad - trotz der amerikanischen Besatzung - frei von jedem Verdacht von Siegerjustiz. Der Irak kann hier selbst eines der blutigsten Kapitel seiner Geschichte abschließen.