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Nigerias politische Führung versagt weiter

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Adrian Kriesch
13. April 2016

Vor zwei Jahren entführte Boko Haram fast 300 Mädchen in Chibok - 219 von ihnen werden bis heute vermisst. Vor Ort wächst die Wut, auch gegenüber der neuen Regierung. Zu Recht, meint Afrika-Korrespondent Adrian Kriesch.

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Nigerias Terror geht weiter
Bild: DW/K. Gänsler

Beim gemeinsamen Gebet reißen sie wieder auf, die Wunden. Zwei Jahre nach der Entführung ihrer Kinder haben sich mehr als 100 Eltern das erste Mal in den Überresten der Schule in Chibok getroffen. Und während sie gemeinsam beten, dass ihre Kinder wieder zurückkehren, können viele ihre Tränen nicht mehr halten.

"Wir sind heute nicht hierher gekommen um zu weinen", ruft Yakubu Nkeki, einer der Eltern. "Wir sind gekommen, damit die Welt uns endlich hört und etwas passiert!" Die Menge klatscht, die Blicke werden ernster. Wütender.

Vernachlässigt und belogen

Sie sind diejenigen, die seit zwei Jahren von ihren Regierungen allein gelassen, vernachlässigt und belogen wurden. Sie haben guten Grund wütend zu sein. Am Abend des 14. April 2014 attackierte Boko Haram die abgelegene Schule in Chibok, ein kleiner, armer Ort im Nord-Osten Nigerias. Sie entführten fast 300 Schülerinnen, ohne dass sich ihnen die Sicherheitskräfte in den Weg stellten. Auch danach passierte erst mal nichts, Regierung und Militär verschliefen das Zeitfenster in dem eine Rettung der ganzen Gruppe möglich gewesen wäre.

Drei Wochen später bekannte sich Boko Haram zu der Entführung, die Mädchen seien jetzt Sklaven der islamistischen Terrorgruppe. Es folgte ein internationaler Aufschrei, der Hashtag "BringBackOurGirls" ging um die Welt. Die Eltern wollten in den Sambisa Forest ziehen - das Kerngebiet von Boko Haram - doch das Militär stellte sich ihnen in den Weg. Zu gefährlich, sagte die Regierung. Erst drei Monate später traf der damalige Präsident Goodluck Jonathan einige Eltern und versprach ihnen: In drei Wochen habt ihr eure Töchter wieder, und bis dahin sind auch die zerstörten Schulen in der Region renoviert. Der Beginn eines endlosen Biathlons in den Disziplinen Lügen und Versagen.

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Adrian Kriesch, DW-Westafrika-Korrespondent in LagosBild: DW

Ex-Präsident Jonathan versagte auf ganzer Linie

Zweimal kündigte die Militärführung an, dass die Mädchen freigelassen würden. Zweimal wurde ohne Beweise der Tod von Boko Haram-Anführer Abubakar Shekau verkündet. Mehrfach hieß es, der Aufenthaltsort der Mädchen sei bekannt. Und doch passierte nichts.

Im März 2015 wurde die Regierung von Goodluck Jonathan abgewählt, der ehemalige Präsident feiert sich seitdem selbst für die seine friedliche, demokratische Machtübergabe. Der Mann, unter dessen Führung der Terror florierte und tausende Opfer forderte. Der Mann, dem Dank des hohen Ölpreises ein Milliardenbudget im Anti-Terror-Kampf zur Verfügung stand, unter dessen Führung es aber in korrupten Taschen verschwand.

Große Versprechen, wenige Erfolge

Sein Nachfolger: Muhammadu Buhari, ein ehemaliger Militärherrscher. Vor allem im Norden des Landes und in den von Boko Haram terrorisierten Gebieten wurde er als Erlöser gefeiert. Ein Mann mit Rückgrat! Ein Kämpfer gegen Korruption und Terror! Nur sechs Monate, so kündigte er an, dann sei Boko Haram zerschlagen. Und es gab tatsächlich Militäroffensiven und erste Erfolge. Buhari nimmt seinen Job offensichtlich ernster als ein Vorgänger. Aber auch er hat seine Versprechen längst gebrochen. Boko Haram terrorisiert mit Selbstmordanschlägen weiter den Norden des Landes. Mindestens 1000 Zivilisten starben, seitdem Buhari im Amt ist. Von den Chibok Girls gibt es weiter keine Spur. Nicht ein einziges der immer noch vermissten 219 Mädchen wurde in den zurückliegenden Monaten gefunden - trotz internationalen Hilfsangeboten aus aller Welt, trotz aller Versprechen.

Natürlich kann kein Realist mehr davon ausgehen, dass alle Mädchen gesund und munter wieder auftauchen. Sie werden schwer traumatisiert sein nach dieser langen Zeit in den Händen ihrer brutalen Peiniger. Aber jeder sollte Optimist genug sein, um weiter glauben zu können, dass 219 Mädchen im heutigen Zeitalter der Hochtechnologie nicht einfach unbemerkt vom Erdboden verschwinden. Und jeder sollte glauben können, dass selbst ein brüchiger Staat wie Nigeria nicht einfach seine Verantwortung für das Schicksal von 219 Mädchen ignoriert. Das macht es allerdings notwendig, dass Buharis weitere Amtszeit erfolgreicher wird als ihr Beginn. Die Eltern der entführten Mädchen können - genauso wie ganz Nigeria - allein darauf hoffen.

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