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Kommentar: Ohrfeige für den ukrainischen Präsidenten

Bernd Johann28. März 2006

Der ukrainische Präsident stand nicht zur Wahl. Und doch ist Viktor Juschtschenko mit seiner westlich orientierten Partei "Unsere Ukraine" der große Verlierer der Parlamentswahlen. Bernd Johann kommentiert.

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Präsident Viktor Juschtschenko bei der WahlBild: dpa-Report

Für Viktor Juschtschenko, den einstigen Helden der orangen Revolution, ist es eine doppelte Niederlage: Sein Rivale Viktor Janukowitsch feiert mit der stärker Russland zugewandten "Partei der Regionen" seine politische Wiederauferstehung. Ausgerechnet Janukowitsch, den das Volk nach dreisten Wahlfälschungen bei den Präsidentschaftswahlen vor 15 Monaten durch einen Volksaufstand von der Macht verdrängt hatte.

Der zweite Gewinner der Parlamentswahlen ist Julia Timoschenko. Ihr gutes Abschneiden ist die eigentliche Überraschung dieser Wahlen. Dass die ehemalige Ministerpräsidentin mit ihrem Wahlblock "BJUT" offenbar zweitstärkste Kraft wird, kommt einer Ohrfeige für den Präsidenten gleich.

Ex-Traumpaar muss sich wieder annähern

Juschtschenko und Timoschenko waren einst Verbündete. Doch nach Meinungsverschiedenheiten in der Wirtschaftspolitik und gegenseitigen Korruptionsvorwürfen schmiss der Präsident seine Regierungschefin aus dem Amt. Das Traumpaar der friedlichen Bürgerrevolution ging im Streit auseinander. Das Wählervotum könnte sie jetzt wieder zusammenführen. Eine Alternative dazu gibt es nicht, wenn das Scheitern der orangen Reformideen verhindert werden soll.

Das Wiedererstarken der Opposition zeigt, wie eng es für die Reformer in Kiew geworden ist. Viele Menschen sind von den bisherigen Ergebnissen der Reformpolitik enttäuscht. Vor allem Erfolge in der Wirtschaftspolitik sind ausgeblieben. Auch der Kampf gegen die Korruption, für den sich Präsident Juschtschenko so vehement eingesetzt hatte, ist irgendwo im Räderwerk des Machtapparates stecken geblieben. Viktor Janukowitsch und seine "Partei der Regionen" profitierten von diesen Fehlern und dem Zaudern des Präsidenten.

Reformprozess ist in Gefahr

Jetzt steht Juschtschenko unter Druck. Schafft er es nicht, die Streitigkeiten mit Timoschenko beizulegen, dann gelingt die Revanche der alten Kräfte. Dann muss sich Juschtschenko mit seinem Rivalen Janukowitsch arrangieren, indem er die Macht mit ihm teilt. Das wäre vielleicht noch nicht das Ende des politischen Aufbruchs der Ukraine nach Europa, aber ganz sicher ein schwerer Rückschlag für den Reformprozess.

Leicht wird Juschtschenko die Entscheidung für ein neues Bündnis mit Timoschenko nicht fallen. Als Regierungschefin hatte Timoschenko mit ihrer populistischen Wirtschaftspolitik westliche Investoren verunsichert. Politisch neigt sie zu Alleingängen. Sie ist alles andere als ein bequemer Koalitionspartner.

Doch Demokratie ist die Kunst des Kompromisses. Auch wenn die Koalitionsbildung schwierig werden wird - verglichen mit der Lage in Weißrussland sind die Wahlen in der Ukraine Ausdruck eines großen demokratischen Fortschritts.