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Ohrfeige für die Ukraine

Johann Bernd Kommentarbild App
Bernd Johann
4. November 2015

48 Menschen starben vor anderthalb Jahren in Odessa. Bis heute wurden die Ereignisse nicht aufgeklärt. Behörden haben versagt. Aber das ist nicht der einzige Grund für die mangelnde Aufarbeitung, meint Bernd Johann.

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Odessa Ukraine Gewerkschaftshaus
Das Gewerkschaftshaus in Odessa, das am 2. Mai 2014 ausbrannteBild: DW/M. Bushuev

Der Bericht der Expertengruppe des Europarates ist eine schallende Ohrfeige für die Behörden in Odessa. Aber sie trifft auch die Generalstaatsanwaltschaft und das Innenministerium der Ukraine, da sie die Untersuchungen leiteten. Die Botschaft der Expertengruppe des Europarates ist klar und unmissverständlich: Bei der Aufklärung der tödlichen Schüsse und des verheerenden Brandes im Gewerkschaftshaus während der Straßenkämpfe in Odessa am 2. Mai 2014 haben ukrainische Behörden auf ganzer Linie versagt.

Ineffizient und erst mit großer Verspätung sei damals ermittelt worden. Eingeleitete Verfahren hätten der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entsprochen. Das Vertrauen in das Rechtssystem der Ukraine sei dadurch beschädigt worden. Die Tragödie habe "schmerzhafte Narben in der Gesellschaft" hinterlassen, so die Ergebnisse des Berichts.

Kritik an Polizei und Justiz

In nüchternen juristischen Worten machen die unabhängigen Experten mehr als deutlich, wie weit die Ukraine noch immer von einem Rechtsstaat und damit auch von europäischen Werten entfernt ist. Sie erinnern daran, dass Ermittlungen und Verfahren gegen mutmaßliche Täter im Sand verliefen. Bis heute warten deshalb Angehörige der Opfer auf Gerechtigkeit. Und es gibt weiter Raum für Spekulationen und Verschwörungstheorien, weswegen die Stadt auch bis heute noch nicht zur Ruhe gekommen ist.

Für die Gewalt im Mai 2014 trug die Polizei eine erhebliche Mitverantwortung. Sie griff nicht ein, als nach dem Machtwechsel in Kiew gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern der neuen Regierung in Odessa eskalierten. Doch niemand aus der damaligen Polizeiführung musste sich dafür vor Gericht verantworten.

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Bernd Johann leitet die Ukrainische Redaktion der DW

Der qualvolle Tod vieler pro-russischer Demonstranten bei dem durch Brandsätze ausgelösten Feuer im Gewerkschaftshaus lieferte damals nicht nur den Separatisten in der Ostukraine, sondern auch dem Kreml in Moskau ein Argument für die Behauptung, ukrainische Nationalisten hätten Jagd auf Andersdenkende gemacht. Auch aus diesem Grund muss die Ukraine ein politisches Interesse daran haben, dass die Ereignisse in Odessa aufgearbeitet werden. Doch zu sehen ist davon nichts.

Versagen auch in der Politik

Besonders schlimm wiegt deshalb der Vorwurf der Parteilichkeit und mangelnden Unabhängigkeit der Untersuchungen, den die Expertengruppe des Europarats in ihrem Bericht erhebt. Namen von Verantwortlichen nennen die internationalen Juristen nicht. Doch es ist klar, dass damit nicht nur Lokalpolitiker in Odessa, sondern auch die für die innere Sicherheit und Justiz in der Ukraine zuständigen Minister in Kiew gemeint sind. Denn sie hätten die Aufarbeitung der Tragödie vorantreiben müssen.

Nur der besonnenen Reaktion der Menschen in Odessa war es damals zu verdanken, dass die Lage nach dem Brand nicht außer Kontrolle geriet. Anders als in der Ostukraine konnte in der ukrainischen Hafenstadt am Schwarzen Meer eine Eskalation durch pro-russischen Separatismus verhindert werden. Doch Politik und Justiz in der Ukraine müssen sich weiter die Frage gefallen gelassen, warum die Aufklärung des Brandes in Odessa verschleppt und regelrecht blockiert wird.

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