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Kommentar: Prinzip Freiheit

Uta Thofern18. Februar 2006

Seit Wochen eskaliert der "Karikaturenstreit", gewalttätigen Aktionen gegen westliche Symbole in der islamischen Welt nehmen zu. Doch die Reaktionen in westlichen Ländern sind mehr als zurückhaltend, meint Uta Thofern.

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Fundamentalistische Aggression gegen DänemarkBild: picture-alliance/dpa

In Dänemark werden Molkereiarbeiter entlassen, in Russland muss die Chefredakteurin einer Provinzzeitung um ihren Job fürchten, in der deutschen Hauptstadt Berlin räumt ein Zeichner klammheimlich seine Wohnung. Die Opfer des fundamentalistischen Zorns sind mitten unter uns, doch die Solidarität mit ihnen bleibt aus. Im Gegenteil: Wo es gesellschaftliche Reaktionen gibt, schwingt eine krude Mischung aus Beschuldigung und Selbstbezichtigung mit.

Schuldkomplex

Mussten denn in Dänemark wirklich Mohammed-Karikaturen gedruckt werden, hätte man nicht wissen müssen, dass die Darstellung des Propheten im Islam streng verboten ist? Und sind die Dänen nicht selbst schuld? Schließlich haben sie doch einen Premier gewählt, der den Maßstäben der politischen Korrektheit nicht genügt. Ganz zu schweigen von Journalisten und Karikaturisten, die immer noch Zeichnungen mit religiösen Bezügen in Umlauf bringen und damit Öl ins Feuer gießen, als hätte der Westen die islamische Welt nicht schon genug beleidigt. Fragen, die einen tiefen Schuldkomplex offenbaren und zugleich den Wunsch, sich mit Ersatzhandlungen reinzuwaschen. Und schlimmer noch: Fragen, die implizieren, die völlig überzogenen und gezielt gesteuerten islamischen Reaktionen seien gerechtfertigt.

Gläubige Christen sind der Überzeugung, Jesus sei für ihre Sünden am Kreuz gestorben und habe sie damit erlöst. Vermeintlich nichtgläubige Anhänger eines voraussetzungslosen westlichen Toleranzmodells sind offenbar der Überzeugung, entlassene Molkereiarbeiter oder ein Zeichner, der vor Todesdrohungen flieht, könnten stellvertretend für die - unbestrittenen - Fehler der westlichen Politik gegenüber islamischen Ländern büßen.

Solidarität? Fehlanzeige!

Doch hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als um unsere Freiheit. Nichts, gar nichts kann die schamlose Preisgabe konstitutiver Prinzipien der Demokratie rechtfertigen, schon gar nicht der schnöde Wunsch, die eigene Haut zu retten. Wo bleiben die Solidaritätsdemonstrationen für den bedrohten Berliner Zeichner? Wer protestiert gegen die Einschränkung der Pressefreiheit in Russland unter dem Deckmäntelchen der religiösen Toleranz? Und wer fordert die Europäische Union zu wirtschaftlicher Hilfe für das boykottgeplagte Dänemark auf? Wenn es um die Meinungsfreiheit geht, müssten wir alle Dänen sein. Doch die Mehrheit schweigt. Wer sich äußert, könnte ja selbst zum Ziel fundamentalistischer Aggression werden und hätte nach der Logik der Prediger der politischen Korrektheit auch noch selbst Schuld.

Prinzipienloser Westen?

Wohl gemerkt, es geht hier nicht darum, sich an religiösen Provokationen zu beteiligen. Auch geht es nicht darum, von der Politik wohlfeile Lösungen zu verlangen; die politischen Reaktionen in Europa waren überwiegend angemessen. Nein, was fehlt, ist ein öffentlicher Aufstand für die Meinungsfreiheit, in der Erkenntnis, dass die Verteidigung der eigenen Prinzipien nicht notwendigerweise gegen andere gerichtet sein muss.

Den Kampf der Kulturen ruft nicht der aus, der ruhig und besonnen für seine eigenen Werte im fairen Wettstreit mit anderen antritt, sondern der, der aus Angst zu unterliegen von vornherein die Fahne streicht. Die feige Leisetreterei der westlichen Gesellschaft trägt nicht zur Befriedung des Konflikts bei, im Gegenteil, sie unterstützt den Eindruck der Fundamentalisten, dass der Westen prinzipienlos und deshalb zu bekämpfen - und zu besiegen sei. Und sie schwächt die moderaten Kräfte in der islamischen Welt, die an die friedliche Koexistenz der Kulturen und an einen Islam in Freiheit glauben. Die fehlende Bereitschaft, in westlichen Demokratien für die Meinungsfreiheit auf die Straße zu gehen, ist ein Schlag ins Gesicht für diejenigen, die weltweit unter Einsatz ihres Lebens dafür kämpfen.