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Kommentar: Putin fürchtet Protestwelle

Ingo Mannteufel13. Juli 2012

Noch schnell vor der Sommerpause peitscht die russische Regierungspartei von Präsident Putin Gesetzesänderungen durch die Duma. Dadurch will man auf neue Proteste im Herbst vorbereitet sein, meint Ingo Mannteufel.

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Das Timing der russischen Regierungspartei ist perfekt. Seit dem Beginn der Sommerferien in Russland boxt Putins Partei "Geeintes Russland" Gesetze durch das russische Parlament, die die öffentliche Diskussion und gesellschaftliche Tätigkeit erheblich beschränken können: Das neue Gesetz über Kundgebungen schränkt das Recht auf Versammlungsfreiheit ein. Die NGOs werden durch die Einführung des Begriffs "ausländische Agenten" nicht nur sprachlich diskriminiert, auch ihre Arbeit wird dadurch erheblich erschwert.

Ingo Mannteufel, Programm Osteuropa, Russische Redaktion. Foto: DW/Per Henriksen 3.11.2010 # 1_0891
Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der DWBild: DW

Die Wiedereinführung des strafrechtlichen Tatbestandes für Verleumdung, der erst vor wenigen Monaten gestrichen wurde, und die Verschärfungen der Internetzensur - unter dem Vorwand der berechtigten Verbesserung des Jugendschutzes in Russland - begrenzen künftig die Meinungsfreiheit der Medien und Blogger.

Angst vor der Zukunft

Hinter dieser im Schatten der russischen Sommerhitze durchgeführten Gegenrevolution dürfte nicht nur das Bemühen stehen, mit der Protestbewegung gegen die russische Duma- und Präsidentenwahl im vergangenen Winter und Frühjahr abzurechnen. Vielmehr scheint das System Putin Angst vor einem turbulenten Herbst und Winter zu haben. Denn es ist in der russischen politischen Diskussion ein Gemeinplatz, dass allein die aus der Mittelschicht entstandene Protestbewegung das System nicht gefährden kann.

In reale Bedrängnis kommt die regierende Elite in Russland erst dann, wenn sich die regional und sozial noch relativ begrenzte Protestschicht mit der großen Masse der Bevölkerung verbindet. Dazu ist es im vergangenen Winter nicht gekommen, wie die Präsidentenwahl im März 2012 gezeigt hat, als sich Putin faktisch doch auf die Unterstützung einer Mehrheit der Russen berufen konnte.

Dennoch wissen auch Präsident Putin und die in der Regierungspartei vereinte Machtelite, dass die Zeiten sich mittlerweile geändert haben: Der Ölpreis fällt unaufhörlich und damit ganz direkt das Potential des russischen Staates, durch soziale Wohltaten Unzufriedenheit in der Bevölkerung besänftigen zu können. Zugleich sind Anfang Juli die seit langem angekündigten Erhöhungen der Heizungs- und Elektrizitätskosten und kommunalen Abgaben in Kraft getreten, was Preissteigerungen und Belastungen vor allem für die breite Masse in Russland bedeutet. Wenn die Russen Anfang September aus der Urlaubssaison zurückkehren, dürfte sich die Grundlage für sozialen Protest stark erhöht haben.

Krymsker Tragödie als Menetekel

Wie groß das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der Staats- und Machtelite und wie wenig diese wiederum auf Krisen vorbereitet ist, hat sich wieder einmal gezeigt, als Starkregen und eine Flutwelle die südrussische Kleinstadt Krymsk verwüstete. Viele Menschen kamen dabei ums Leben. Wie leider so oft bei Katastrophen und sozialen Notlagen waren die russischen Behörden auch diesmal inkompetent und überfordert.

Die von Putin geschaffene Vertikale der Macht funktioniert gut, wenn der geordnete Protest der Mittelschicht eingegrenzt werden soll. Doch wenn es darum geht, dass der Staat seine Bürger schützt und in Krisenzeiten versorgt, dann offenbaren sich erhebliche Schwächen. Und in diesem Klima wächst die Wut der breiten Masse auf "die da oben". Genau diese Wut fürchten Putin und seine Regierungspartei im Herbst. Aus diesem Grund ist es ihnen wichtig, noch vor der Sommerpause das gesetzliche Rüstzeug zu besitzen, um eine mögliche zweite, heftigere Protestwelle kontrollieren zu können.