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Unbequemer Partner

Daniel Scheschkewitz23. März 2012

Wladimir Putin hat den geplanten NATO-Russland-Rat abgesagt. Irritiert über die Raketenabwehr der NATO, zeigt Moskau dem Westen die kalte Schulter. Das Verhältnis hat Reparaturbedarf, meint Daniel Scheschkewitz.

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Symbolbild Kommentar (DW-Grafik)

Eine faustdicke Überraschung sieht anders aus. Seit geraumer Zeit ist das Verhältnis zwischen der NATO und Russland getrübt. Hauptgrund der Verstimmungen ist die von Washington im transatlantischen Bündnis vorangetriebene Raketenabwehr. Deren partielle Einsatzbereitschaft soll auf dem NATO-Gipfel im Mai vor den Augen der Welt verkündet werden. Da sich ein Kompromiss in der Sache bis heute nicht andeutet, verspürte Russlands frisch gekürter Präsident offenbar wenig Neigung, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Als Staffage für einen Gipfel, auf dem sich der Wahlkämpfer Obama in seiner Heimatstadt Chicago als Chef des westlichen Verteidigungsbündnisses präsentieren wird, ist sich Putin ganz offenbar zu schade.

Streitpunkt Raketenabwehr

Doch die Kulisse war nicht in erster Linie ausschlaggebend. In der Sache gibt es nach wie vor unüberbrückbare Differenzen. Vom Westen mit der Gefahr begründet, die von politisch unberechenbaren Staaten wie dem Iran ausgeht, empfindet Moskau die Positionierung neuer Raketen an der Ostflanke der NATO als Affront. Moskau sieht in der Raketenabwehr eine Bedrohung der eigenen Sicherheit. Deshalb hat Russland die Aufstellung von eigenen Kurzstrecken-Raketen in seiner westlichen Enklave Kaliningrad angekündigt. Im Zentrum steht die simple Erkenntnis, dass die effektivste Antwort auf eine gegnerische Raketenabwehr darin besteht, das eigene Arsenal an Offensivraketen auszubauen.

Daniel Scheschkewitz (Foto: DW)
DW-Redakteur Daniel ScheschkewitzBild: DW

Moskau plant eigene Aufrüstung

In den kommenden Jahren will Russland massiv in die Serienproduktion von eigenen Raketensystemen investieren, um das Rüstungsgleichgewicht mit den USA zu halten. Die Raketenabwehr vergiftet das Verhältnis der NATO zu Russland derzeit fast ebenso stark wie seinerzeit die Osterweiterung. Die Beteuerungen von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, die Raketenabwehr sei nicht gegen Russland, sondern auf Bedrohungen aus dem Mittleren Osten gerichtet, verhallen in Russland ungehört. Moskau verlangt rechtlich abgesicherte Garantien. Die NATO beharrt darauf, politische Zusicherungen müssten bei der Raketenabwehr ausreichen.

Gemeinsame strategische Interessen

Die Absage des NATO-Russland-Gipfels ist nun der vorläufige Schlusspunkt unter einen Streit, der die ökonomischen und politischen Realitäten verkennt. Eine gemeinsame Raketenabwehr der NATO mit Russland wäre nicht nur billiger, sie hätte auch einen realen Sicherheitsgewinn für beide Seiten bedeutet. Der Iran arbeitet unverdrossen an seiner eigenen atomaren Bewaffnung. In Afghanistan kündigt sich mit dem bevorstehenden Abzug der ISAF-Truppen ein neues Sicherheitsvakuum an. Es betrifft Russland mindestens genauso wie den Westen. Ohne Transit über russisches Gebiet könnte die NATO ihren Beitrag zur militärischen Stabilisierung Afghanistans gar nicht erbringen, geschweige denn die Truppen abziehen. Schon jetzt bilden Russland und die NATO afghanische Kräfte gemeinsam in der Drogenbekämpfung aus.

Altes Freund-Feind-Denken

Die gemeinsamen strategischen Interessen der NATO und Russlands lassen den Streit um die Raketenabwehr deshalb umso widersinniger erscheinen.

Deutschland hat in dieser Angelegenheit bis vor Kurzem tatkräftig zu vermitteln versucht und umfassende Vorschläge auf Expertenebene für den Austausch von militärischen Daten, bessere Transparenz und gemeinsame Verifikationsmaßnahmen gemacht. Dies muss nicht umsonst gewesen sein. Noch wäre Zeit genug, einen Raketenabwehrschirm gemeinsam aufzuspannen. Eine dauerhafte Stabilität in Europa setzt voraus, dass Russland, aber auch die Staaten des Kaukasus und Zentralasiens einen Platz in der euro-atlantischen Sicherheitspartnerschaft finden. Die NATO und Russland haben durch ihren Streit um das Raketenprogramm wertvolle Zeit beim Aufbau dieser Partnerschaft verloren. 20 Jahre nach der Beendigung des Kalten Krieges ist ein Rückfall in das alte Freund-Feind-Denken zu beobachten. Der Sicherheit Europas ist damit wenig gedient.