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Eine Art, quasi und als ob

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Juri Rescheto
24. August 2015

Mitten in den russischen Regionalwahlkampf platzt die Nachricht der Wahlbeobachterorganisation "Golos": Führende Parteien haben Finanzquellen im Ausland. Eine Überraschung? Von wegen - meint Juri Rescheto.

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Russland Partei Einiges Russland 2007
Bild: picture-alliance/dpa/E. Kochetkov

Tipa heißt im Russischen quasi, eine Art, als ob. Tipa gehört zu den Lieblingswörtern der Russen. Tipa partia - eine Art Partei. Tipa zakon - quasi ein Gesetz. Tipa zapret - als ob das verboten wäre. Zusammen ergibt das: Manche Parteien haben ihre eigenen Gesetze.

In drei Wochen stimmen die Russen über ihre Regionalparlamente ab. Der Wahlkampf lief bisher unaufgeregt, sieht man einmal von den Schikanen der Wahlbehörden gegenüber der oppositonellen Demokratischen Koalition um den Blogger Nawalny ab. Im westsibirischen Nowosibirsk und im fernöstlichen Magadan hat man alles unternommen, um deren Kandidaten die Anmeldung so schwer wie möglich zu machen. Mal waren die benötigten Unterschriften der Wähler tipa unleserlich, mal gab es tipa Probleme mit dem Pass. Nicht einmal ein Proteststreik hat daran etwas geändert.

Alle sind gleich, manche gleicher

Dafür wurde den etablierten Größen "Einiges Russland", "LDPR", "Gerechtes Russland" und den Kommunisten die Anmeldung so angenehm wie möglich gemacht. Damit sich hinterher niemand aufregt, es gäbe keine Demokratie in Russland. Ganze vier Parteien. "Einiges Russland" regiert. Die anderen drei "opponieren". Tipa.

Alle sind gleich, nur manche sind bekanntlich gleicher. Und so dürfen diese Vier das machen, was andere nicht dürfen. Geld annehmen zum Beispiel. Von Ausländern. Ganz böse in Russland. Eigentlich. Tipa. Denn jede Organisation, die Spenden aus dem Ausland erhält, muss sich als "ausländischer Agent" registrieren lassen. Diese diffamierende Prozedur mussten viele Menschenrechtsaktivisten über sich ergehen lassen, Stiftungen, Verbände. Das traf sie hart. Manche mussten schließen, wie das "Komitee gegen Folter" neulich.

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Juri Rescheto leitet das DW-Studio in Moskau

Auch die etablierten Parteien nehmen Geld von Ausländern an, fanden jetzt die Wahlbeobachter vom Verein "Golos" heraus, melden sich aber nicht als "ausländische Agenten" an. Die regierende "Einiges Russland" habe ein ganzes Netz an Stiftungen gegründet, die im vorigen Jahr 68 Prozent aller Spenden von privaten Firmen erhalten haben sollen. Manche dieser Firmen seien aber im Ausland registriert, wie zum Beispiel das zyprische Unternehmen EGRJUL. Dieses kontrolliert das russische "Krasnodar Vodokanal", das wiederum dem Kandidaten von "Einiges Russland" im westsibirischen Omsk drei Millionen Rubel, also 43.000 Euro spendiert hat. Eigentlich ein Skandal. Denn es ist ja verboten. Eigentlich. Tipa.

Geldquellen liegen im Dunkeln

"Golos" fragt sich auch, woher weitere drei Millionen Rubel kommen, die im diesmal ostsibirischen Irkutsk eine einfache Universitätsangestellte der von ihr offenbar sehr geliebten Partei "Einiges Russland" 2013 schenkte. Stecken dahinter etwa weitere Firmen, womöglich aus dem Ausland? Ähnliche Fälle gebe es in Rostow und Smolensk, behaupten die "Golos"-Aktivisten. Verschleierte Finanzquellen, undurchsichtige Firmengeflechte, fremdes, ausländisches Kapital!

Wenn das stimmt, dann kann man sich schon fragen, was schlimmer ist: eine NGO, die dafür kämpft, dass Menschen nicht gefoltert werden, und für ihre Arbeit Spenden aus dem Ausland annimmt, oder eine politische Partei, die im Parlament sitzt, also das geliebte Vaterland regiert, und ebenfalls aus dem Ausland finanziert wird? Wo ist der Einfluss von außen gefährlicher? Dem russischen Gesetz nach müsste es gleich schlimm sein. Die Praxis sieht wohl anders aus.

Oder tun die Parteien nur so, als ob sie regieren? Und die anderen sind dann doch nur eine Art Opposition? Dann ist das ja tipa mozhno. Also quasi erlaubt.

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Juri Rescheto Chef des DW-Büros Riga