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Politik

Kommentar: Schützenhilfe für Merkel aus Washington?

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Jens Thurau
18. Juni 2018

Angela Merkel muss sich immer wieder auf Breitseiten von Donald Trump gefasst machen. Offen mischt sich der US-Präsident in den Koalitionsstreit ein. Der Kanzlerin wird das aber eher nützen, meint Jens Thurau.

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Symbolbild Twitteraccount Donald Trump
Bild: picture-alliance/AP Photo/J. D. Ake

Wir haben uns an so viel gewöhnt, also kann auch die neueste Twitter-Attacke von Donald Trump eigentlich niemanden in Deutschland mehr schocken: Der US-Präsident ließ wie üblich per Kurznachrichtendienst verkünden, die Deutschen wendeten sich wegen der Migrationspolitik "von einer bereits schwachen Koalition" ab. Und weiter: "Die Kriminalität nimmt in Deutschland stark zu." Das Letzte ist schlicht gelogen, aber das ist dann ja wohl Bestandteil jedes durchschnittlichen Trump-Tweets.

Entgegen aller diplomatischer Gepflogenheiten

Die aggressive Rhetorik folgt einem klaren Muster: Trump hat Angela Merkel als seine Hauptfeindin in Europa auserkoren. Vielleicht, weil sie gar nicht erst den Versuch unternommen hat, ihn zu umschmeicheln, wie das etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron getan hat. Oder weil sie sich gut mir Barack Obama verstanden hat, was allein reicht, um den Zorn des US-Präsidenten auf sich zu ziehen. Zu Trumps Umgang mit Merkel (und mit Deutschland) gehört die Entsendung von Richard Grenell, dem neuen US-Botschafter in Berlin, der sich in aller Offenheit dazu bekennt, die Populisten in Europa stärken zu wollen. Eine dreiste Überschreitung seiner Kompetenzen und aller diplomatischer Gepflogenheiten. Und Trumps Tweet geht dann mit einem für einen amerikanischen Präsidenten beispiellosen Niveau weiter: Die Europäer, schreibt Trump, hätten den Fehler gemacht, Millionen von Menschen aufzunehmen, die ihre Kultur deutlich veränderten. Und weiter: "Wir wollen nicht, dass durch Einwanderung bei uns dasselbe wie in Europa passiert."

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DW-Hauptstadtkorrespondent Jens Thurau

Und das aus Amerika, dem früheren Zufluchtsort für Bedrängte aus aller Welt, dem Schmelztiegel der Kulturen, diesem Phantasieland, das ehrgeizigen Menschen aus Europa über viel Jahrzehnte als der Ort galt, an dem man sich hocharbeiten konnte - unabhängig von Herkunft oder sozialem Status. Wenn man das nur wollte und den amerikanischen Optimismus teilte. Von diesen Amerikanern haben die Deutschen nach 1945, zunächst nur im Westen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit quasi geschenkt bekommen. Das alles fällt jetzt dem Furor des wilden Mannes in Washington zum Opfer. Es können einem die Tränen kommen.

Deutsche und Amerika - Ein ambivalentes Verhältnis

Aber die Angriffe Trumps auf die deutsche Regierung sind nicht nur unverschämt, sondern auch unüberlegt: Denn das innige Verhältnis der Deutschen zu Amerika ist immer auch ambivalent. Belehrungen aus Washington sind noch nie gut angekommen in Deutschland, schon gar nicht von diesem Präsidenten. Die vergleichsweise liberale Flüchtlingspolitik Merkels wird von vielen Deutschen mittlerweile kritisch gesehen oder sogar offen abgelehnt, dazu muss man kein Rechtspopulist sein. Aber die Rückendeckung des irrlichternden Mannes im Weißen Haus für die Merkel-Gegner wird der Kanzlerin eher nützen.

Wahrscheinlich war der Trump-Tweet, wie immer am frühen Morgen vor dem Frühstück abgesetzt, ohnehin wieder an das eigene Volk gerichtet, an die Menschen in Amerika, die Trump vor den auch dort anstehenden Wahlen mobilisieren will. Dafür die Verbündeten in Berlin zu schulmeistern, fällt ihm leicht. Denn für diesen US-Präsidenten gibt es keine Verbündeten mehr, schon gar nicht in Berlin.  

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