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Kommentar: Ukraine ist Russland einen Schritt voraus

4. Oktober 2007

Trotz der anhaltenden innenpolitischen Krise hat die Ukraine mit den aktuellen Wahlen einen Demokratietest bestanden – und ist damit Russland einen großen Schritt voraus, meint Bernd Johann in seinem Kommentar.

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Bild: DW

Die Ukraine und Russland schienen lange Zeit in einem Staat untrennbar miteinander verbunden. Doch nun entwickeln sie sich mehr und mehr auseinander. Regelrechte Gegenpole sind sie inzwischen, wenn es um demokratische Veränderungen geht. Frei nach dem Motto, das Amt ändert sich, aber die Richtung wird sich nicht ändern, will in Russland Präsident Wladimir Putin offenbar um jeden Preis seine Macht bewahren. In der Ukraine hingegen ist nach der Parlamentswahl vom Sonntag (30.9.) zum dritten Mal in drei Jahren ein Regierungs- und damit auch ein Richtungswechsel möglich geworden.

Komplizierte Partnerschaften

Sieger der Parlamentswahl ist zwar die Partei der Regionen des bisherigen ukrainischen Ministerpräsidenten Wiktor Janukowytsch, der das Land zwischen Russland und Europa positionieren will. Doch für die Regierungsbildung reicht das Ergebnis nicht. Das Lager der prowestlichen Parteien kann eine Koalition bilden, wenn auch nur mit knapper Mehrheit. Bemerkenswert ist vor allem das Abschneiden von Julija Tymoschenko, deren gleichnamiges Wahlbündnis Block Julija Tymoschenko (BJuT) sich um fast zehn Prozent verbessern konnte. Gemeinsam mit dem Parteienbündnis Unsere Ukraine von Präsident Wiktor Juschtschenko ist eine Neuauflage der "orangen Koalition", also jener Kräfte möglich, die im Herbst 2004 in friedlichen Protesten den demokratischen Wandel in der Ukraine herbeigeführt hatten.

Dennoch dürfte die Regierungsbildung schwierig werden. Außenpolitisch könnten sich Tymoschenko und Juschtschenko leicht einigen. Beide wollen die Ukraine so rasch wie möglich in Europa integrieren. Aber schon einmal haben die beiden Politiker versucht, die Ukraine gemeinsam zu regieren. Nur wenige Monate ging das gut. Dann zerbrach das Bündnis an Differenzen, vor allem in der Wirtschaftspolitik. Nach ihrem großen Wahlerfolg dürfte Tymoschenko für Juschtschenko ein noch schwierigerer Partner werden. Ein weiteres Problem: Eine Regierung, die sich im Parlament nur auf eine hauchdünne Mehrheit stützt, wäre schnell zu Fall zu bringen.

Russland einen Schritt voraus

Als stärkste Kraft im Parlament wäre die Partei der Regionen eine mächtige Opposition. Denkbar ist deshalb, dass es trotz einer knappen "orangen" Mehrheit zu einer Neuauflage der im Frühjahr gescheiterten großen Koalition zwischen der Partei der Regionen und der Präsidentenpartei Unsere Ukraine kommt. Ein solches Bündnis könnte zwar helfen, die politische Teilung des Landes zu überwinden. Aber das würde Kompromissbereitschaft und den Willen aller beteiligten Kräfte voraussetzen, gemeinsam an der Lösung der bestehenden Probleme zu arbeiten. Und gerade damit tun sich die ukrainischen Politiker schwer.

Die vorgezogenen Parlamentswahlen sollten einen Ausweg aus der schweren politischen Krise weisen, in der sich das Land seit Monaten befindet. Das ist nicht gelungen. Trotzdem hat die Ukraine mit diesen Wahlen eine weitere Reifeprüfung in Sachen Demokratie bestanden. Damit ist sie Russland einen großen Schritt voraus.

Bernd Johann
DW-RADIO/Ukrainisch, 4.10.2007, Fokus Ost-Südost