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Vergiftetes Klima

Alexander Kudascheff14. März 2015

Seit dem Amtsantritt der neuen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras kommt die Europäische Union nicht mehr zur Ruhe. Die EU erlebt einen Rückfall in längst vergangen geglaubte Zeiten, meint Alexander Kudascheff.

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Symbolbild Griechenland Schuldenkrise wachsender Nationalismus
Bild: Reuters/Y. Behrakis

Das politische Klima in der EU ist vergiftet. Zwischen Berlin und Athen. Aber auch zwischen Athen und der EZB. Zwischen 18 Euro-Staaten und Athen - und umgekehrt. Die Europäische Union taumelt in eine schwerwiegende Krise, wenn sie nicht schon mitten drin ist. Plötzlich scheinen in diesem großartigen Friedensprojekt wieder nationale, ja nationalistische Ressentiments zu blühen. Plötzlich herrscht ein Ton unter den Mitgliedsstaaten, den man zwischen Feinden kennt, aber nicht zwischen Partnern, die seit Jahrzehnten miteinander friedfertig umgehen.

Auch früher wurde hart gekämpft

Kein Zweifel: Auch in früheren Dekaden wurde an den europäischen Verhandlungstischen getrickst. Es wurde gefeilscht. Es wurde gepokert und bis zum Äußersten gereizt, in der Hoffnung, seinen eigenen Vorteil sichern zu können. Daran haben sich alle Mitgliedsstaaten beteiligt - ohne Ausnahme. Aber: Es wurde niemand verletzt, niemand beschimpft, es wurde nicht ganz offen und unverhüllt mit dem Bruch aller Regeln und Verträge gedroht.

Die neue griechische Regierung - gewählt wegen ihrer Wahlversprechen, gestützt auf ein großes Mandat - hat nun genau diesen Ton angeschlagen. Ein rechtspopulistischer Verteidigungsminister droht, eine halbe Million Flüchtlinge nach Europa durchzuschleusen und damit gegen die gemeinsame europäische Asylpolitik zu verstoßen. Der griechische Ministerpräsident Tsipras eröffnet im Verhandlungspoker um die Euro-Rettungspolitik eine neue Front, in dem er von Deutschland Reparationen fordert. Und immer wieder spricht die Regierung von der Troika und den europäischen Partnern als Besatzern, obwohl sie trotz allem Partner sind.

Alexander Kudascheff DW Chefredakteur Kommentar Bild
DW-Chefredakteur Alexander KudascheffBild: DW/M. Müller

Man muss es deutlich sagen: Die Euro-Länder wollen Griechenland helfen. Dass sie das nicht ohne Erwartungen und Auflagen tun, ist selbstverständlich. Ihr Grundsatz, dass Schulden nicht mit neuen Schulden bekämpft werden dürfen, ist einsichtig - und hat Spanien, Irland und Portugal geholfen.

Unbestreitbar ist aber auch: In Griechenland ist diese ökonomische Hilfsbereitschaft gescheitert. Da hat die neue Regierung in Athen recht. Griechenland wird vom ökonomischen und sozialem Bankrott bedroht, schlimmer noch: Griechenland wird von einer Staatskrise erschüttert.

Taktischer Missbrauch der Reparationsfrage

Das ist aber kein Grund, sich Deutschland als Sündenbock auszusuchen - und die Frage nach Reparationen für deutsche Kriegsverbrechen im Verhandlungspoker taktisch zu missbrauchen. Moralisch besteht kein Zweifel, dass Deutschland vor allem die noch lebenden Opfer der Besatzungszeit zu entschädigen hat. Vielleicht auch darüber nachdenken kann und muss, ob es mehr tun kann als bisher.

Juristisch ist die Reparationsfrage aber wohl erledigt. Aber auch hier macht der Ton die diplomatische Musik. Deutschland hat sich gerade nach dem Ende der Obristenjunta und in der EU immer wieder für Griechenland engagiert - wie andere Länder auch. Es ist an der Zeit, das Klima zu entgiften und die ökonomischen und politischen Probleme sachlich anzugehen. Das gilt für Athen - aber auch für andere EU-Länder. Sonst fliegt nach mehr als 50 Jahren Erfolgsgeschichte die EU auseinander - ungewollt sicher, aber verhängnisvoll.