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Vertrauensverlust in Kiew

Porträt eines Mannes mit blauen Augen in Hemd und Jacket, im Hintergrund ist der Majdan-Platz in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zu erkennen
Frank Hofmann
22. November 2015

Am Wochenende haben die Ukrainer an den Beginn der pro-europäischen Proteste vor zwei Jahren erinnert. Nun aber ist kaum noch jemand bereit, für die pro-westlichen Politiker auf die Straße zu gehen, meint Frank Hofmann.

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Feierlichkeiten zwei Jahre Maidan in Kiew (Foto: DW/F. Hofmann)
Bild: DW/F. Hofmann

Vor Wochen schon tauchten in den sozialen Medien in der Ukraine Aufrufe auf, die Erinnerung an den Beginn der Maidan-Demonstrationen zu einem Protest gegen die herrschenden Politiker zu machen, denen vor allem Reformstau vorgeworfen wird. Präsident Petro Poroschenko setzte sich kurzerhand an die Spitze der Bewegung und ließ am Wochenende eine Bühne auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz aufbauen, flankiert von Großplakaten, die sprengende Ketten zeigten. Allein - das Programm hat kaum jemanden interessiert. Eine bestellte Musikband wurde von den Besuchern kurzerhand weggeschickt: Fröhliches Tanzen empfanden viele als nicht angemessen in Anbetracht der 100 Toten des Maidan.

Ein spontaner Demo-Aufruf lockte hingegen am späten Samstagabend sofort einige Hundert vor den Kiewer Präsidentenpalast: Die Minderheit der Krim-Tartaren wirft Poroschenko vor, sie zu wenig zu unterstützen, nachdem eine Einheit der Nationalgarde versucht hatte, am Nachmittag eine Blockade der Tartaren in der Süd-Ukraine auf dem Weg zur Krim aufzulösen. Militante Aktivisten hatten Strompfeiler gesprengt - auf der von Moskau besetzten Krim ging das Licht aus. Viele der muslimischen Tartaren sind nach der russischen Annexion der Krim aus Furcht vor russischer Repression aufs ukrainische Festland geflohen und genießen in der Bevölkerung große Sympathie.

Porträt von Frank Hofmann
Frank Hofmann, DW-Korrespondent in Kiew

Ungebremste Korruption

Noch immer schauen viele Ukrainer auch den pro-europäischen Kräften in Regierung und Präsidentenamt ganz genau auf die Finger. Doch die politische Elite des Landes, die in weiten Strecken schon vor zehn Jahren auf Posten war - scheint das zu ignorieren. Auch eineinhalb Jahre nach der ersten europäischen Revolution des 21. Jahrhunderts glauben viele, mit ein paar Abstrichen und europäischem Anstrich so weiter machen zu können wie zuvor: Das hochkorrupte Netz aus Parlamentsabgeordneten, von Oligarchen dominierten Firmen, Beamten, Richtern und Staatsanwälten lebt weiter in der Ukraine, wie seit seiner Entstehung in den 90er Jahren als Kiew treu an der Seite Moskaus stand. Die illegale persönliche Bereicherung von Amts- und Würdenträgern ist in der Ukraine also weiter staatsbildend.

Poroschenko hält an alten Kräften fest

Seit mehr als einem Jahr wird an einer Anti-Korruptions-Behörde gearbeitet. Doch die hat bis heute keinen Chef, weil alte Kräfte den Posten mitbestimmen wollen. Poroschenko hält gegen großen Widerstand an einem Generalstaatsanwalt mit zweifelhaftem Ruf fest. Anstatt die 8000 Richter im Land zu entlassen und die Guten wieder einzustellen, gibt der Apparat vor, sich selbst reinigen zu können. Hier die alte Korruptionselite, dort Europa. Beides wird nicht gehen.

Gleichzeitig werden kritische Vertreter aus der Zivilgesellschaft, von denen vielleicht 20, 30 im Parlament sitzen, perfide denunziert, wenn sie Korruptionsfälle ans Tageslicht zerren. Der pro-europäische Oligarch im Präsidentenamt, Poroschenko, hat in den nächsten Monaten die Chance zu beweisen, dass es ihm tatsächlich ernst ist mit dem politischen Wandel: mit einer raschen Regierungsumbildung, bei der jene Minister übrig bleiben, die nachprüfbare Erfolge vorzuweisen haben und frei sind von alten Seilschaften. Tut er es nicht, bleibt der schale Beigeschmack, dass es bei seiner Regentschaft vor allem darum geht, den Geldgeber zu Wechseln: Statt Moskau, nun Brüssel.

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