1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Vielfalt in der Einheit

Ralf Bosen 3. Oktober 2006

Seit 16 Jahren wachsen Ost- und Westdeutschland zusammen - was nicht immer einfach ist. Und doch kann der Tag der Deutschen Einheit positive Impulse geben, meint Ralf Bosen in seinem Kommentar.

https://p.dw.com/p/9CBH

Der 3. Oktober vor 16 Jahren war ein Tag der Freude, eine Zeit des Optimismus, des großen Fahnenschwenkens. Das hat es erst wieder zur Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland gegeben. Aber diese Euphorie, diese Gute-Laune-Aufbruchstimmung hat sich auf den 3. Oktober nicht übertragen. Nach dem Sommerrausch einer vereinten Fußballnation ist die Ernüchterung zurückgekehrt. Laut Umfrage-Ergebnissen finden zwei Drittel aller Deutschen den Tag der Deutschen Einheit überhaupt nicht feierlich.

Denn trotz einer gewaltigen Aufbauleistung ist der Osten noch immer ein Pflegefall. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im Westen. Zudem drohen die neuen Bundesländer demographisch auszubluten, weil die jungen Menschen aus beruflichen Gründen lieber in den Westen ziehen. Probleme, für die der Staat keine Antworten gefunden hat.

Vormarsch der Neonazis

Das ist ein Armutszeugnis für die Politik und eine Gefahrenquelle für die Demokratie. Denn in dieses Vakuum stoßen die Rechtsextremen. Längst haben viele von ihnen Springerstiefel und Bomberjacke zur Seite gelegt und geben sich als Biedermänner und soziale Wohltäter. Es sind die alten, menschenverachtenden Botschaften, die sie verkünden, aber in neuer Verpackung. Zur großen Bestürzung der übergroßen Mehrheit der Deutschen sind sie mit dieser Taktik erfolgreich - wie das der klare Einzug der NPD in den Landtag des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern im September gezeigt hat.

Aber dennoch gibt es sie - die positiven Beispiele in Ostdeutschland: Die Uhrenfabrik Glashütte oder die Computer-Industrie im Großraum Dresden haben prall gefüllte Auftragsbücher. Und der Aufstieg von Angela Merkel zur ersten deutschen Kanzlerin zeigt, dass eine ostdeutsche Herkunft keine Benachteiligung bedeuten muss. Deshalb sollte man am 3. Oktober das bisher Erreichte durchaus würdigen, denn der Prozess der Wiedervereinigung ist trotz aller Probleme eine Erfolgsgeschichte.

Von der DDR lernen

Aber immer noch scheut man sich, aus der ostdeutschen Vergangenheit zu lernen. Die frühere DDR war zwar ein Unrechts-Regime, aber auch dort gab es Erfolgsmodelle, von denen das wiedervereinigte Deutschland durchaus profitieren könnte. Bei der Diskussion über eine Reform der Familienpolitik hätte man die Kinder-Betreuung der früheren DDR als Modell nehmen können. Dort gab es nämlich genügend Kindertagesstätten, sodass die Frauen mit Kindern ohne Probleme arbeiten konnten.

Das Gefühl, nicht alles falsch gemacht zu haben, hätte den Ostdeutschen mehr Selbstbewusstsein gegeben und den Westdeutschen gezeigt, dass ihre Brüder und Schwestern in den neuen Bundesländern mehr sein können als bloße Empfänger von Finanzhilfen. Es wäre ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Einheit.

Aber was heißt das genau: Einheit? Deutsche Einheit? Wäre es nicht an der Zeit, dass die Deutsche Einheit in all ihren Facetten auf den Prüfstand gestellt wird? Dazu sollten wir uns auch Gedanken machen über die Integration der Deutschen mit Einwanderungshintergrund. Denn natürlich sind auch sie ein Teil von Deutschland. Viele von ihnen fühlen sich allerdings als Deutsche ausgegrenzt. Deshalb wäre der Tag der Deutschen Einheit der richtige Anlass, darauf hinzuweisen, dass Deutschland Heimat von Menschen aus vielen Kulturen ist und das dies als eine Bereicherung empfunden wird. Gerade in Zeiten des internationalen Terrors, in denen das Misstrauen zunimmt, wäre dies ein wichtiges Zeichen. "Vielfalt in der Deutschen Einheit" - das könnte die Botschaft für ein weltoffenes Deutschland sein.