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Kommentar: Vom Kater zur Katharsis

Astrid Prange (z. Zt. Rio de Janeiro)9. Juli 2014

Erst die Regierung, dann die Fifa und jetzt auch noch die Seleção. Nach der Niederlage gegen Deutschland versinkt Brasilien im Jammertal. Die Schmach im Stadion Minerão nagt am Selbstbewusstsein des Landes.

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Enttäuschte brasilianische Fans. (Foto: REUTERS/Enrique Castro-Mendivil)
Bild: Reuters

Fußball ist in Brasilien mehr als die schönste Nebensache der Welt. Es ist auch mehr als eine nationale Leidenschaft. Es ist der Spiegel der brasilianischen Seele. Und diese Seele verlangt gerade nach innerer Reinigung.

Nach dem bösen Erwachen am Tag nach der Niederlage hat die Suche nach den Schuldigen begonnen. Die Katharsis steht Brasilien allerdings noch bevor. Und auch hier spiegelt der Fußball erneut den Gemütszustand des ganzen Landes wider. Wenn es gelingt, die politische Landschaft zu reformieren, warum dann nicht auch den brasilianischen Fußballverband CBF?

Bisher schien Brasilien mit seiner Taktik richtig zu liegen. Das Land gilt als einer der größten "Exporteure" von talentierten Fußballspielern, die in der ganzen Welt ihr Können demonstrieren. Der brasilianische Fußballverband CBF schließt millionenschwere Sponsorenverträge ab und verfügt über großen Einfluss innerhalb der Fifa.

DW-Reporterin Astrid Prange in Rio de Janeiro (Foto: DW/Philipp Barth)
DW-Reporterin Astrid Prange in Rio de JaneiroBild: DW/P. Barth

Doch das brasilianische Fußballimperium implodiert. Die Tage von Trainern mit diktatorischen Allüren vom Schlage eines Felipe Scolari sind im globalisierten Geschäft rund um den Ball gezählt. Und der Ausverkauf brasilianischer Talente, die nach Europa gehen, bevor sie Erfahrung im eigenen Land gesammelt haben, hat sich für das Land als gefährlicher Aderlass erwiesen.

Brasilien läuft Gefahr, mit der Lust am schnell verdienten Geld seine Seele zu verkaufen. Das trifft nicht nur auf den Fußball zu. "Jeder für sich und Gott für alle" - diese in Brasilien weit verbreitete Einstellung befeuert die Suche nach schnellem Profit, oft auf Kosten anderer. Exorbitante Hotelpreise, teure Flüge und natürlich teure Stadien - bei der WM sind alle Tabus gefallen.

Natürlich wird das weltweite Fußballkarussell sich weiterdrehen. Brasiliens Fußballklubs müssen nun entscheiden mit welchem Einsatz sie sich an dem Milliardengeschäft in Zukunft beteiligen wollen. Bis jetzt genießen die Transaktionen mit einträglichen Spielerverträgen eindeutig Vorrang vor der Förderung des einheimischen Fußballs.

Die Enttäuschung über die Seleção erhöht den Reformdruck. Die nationale Identität des brasilianischen Fußballs ist in Gefahr, sich aufzulösen und zu verflüchtigen. Doch auch die Beharrungskräfte des brasilianischen Fußballs sind enorm. Im Gegensatz zur politischen Selbstreinigung, die in Brasilien 2012 erstmals zur Verurteilung von Parlamentariern und Ministern führte, steckt der Kampf gegen die Korruption in der Welt des Fußballs noch in den Kinderschuhen.

Der Weg vom Kater zur Katharsis ist lang und beschwerlich. Doch für Brasilien ist er unvermeidlich.