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Politik

Von der Selbstdemontage eines Denkmals

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Jens Thurau
25. Juni 2017

Helmut Kohl - oder seine Witwe - wollen von einem deutschen Staatsakt nichts wissen. Diese Sichtweise ist arrogant und offenbart einen sehr befremdlichen Blick auf die eigene Rolle im Einigungsprozess, meint Jens Thurau.

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Helmut Kohl Buchvorstellung Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung
Helmut Kohl und seine zweite Frau, Maike Kohl-Richter, bei der Frankfurter Buchmesse 2014Bild: Getty Images/H. Foerster

Was für eine Tragödie! Am vergangenen Donnerstag im Bundestag: Es versammeln sich der aktuelle und zwei frühere Bundespräsidenten, das gesamte Kabinett und fast alle Abgeordneten. Bundestagspräsident Norbert Lammert spricht über Helmut Kohl, und es wirkt nicht nur wie ein Staatsakt. Es ist eigentlich einer. Einer aus Verlegenheit natürlich. Lammert würdigt Kohls Lebenswerk, was jeder Mensch, der halbwegs bei Verstand ist, in diesen Tagen tun sollte. Aber er findet auch kritische Worte über das - vorsichtig ausgedrückt - fragwürdige Sozialverhalten des Altkanzlers. Von der Familie ist niemand da. Und das wird es wohl im Wesentlichen gewesen sein mit dem deutschen Gedenken an den Mann, der maßgeblich dafür sorgte, dass das Land nach quälenden Jahrzehnten vereint wurde, ohne dass ein Schuss fiel.

Ein europäischer Staatsakt, um einen deutschen zu vermeiden

An wem das genau liegt - an Kohls Verfügungen oder an den Plänen seiner Frau - sei dahingestellt. Tatsache ist: Es wird am 1. Juli in Straßburg einen europäischen Staatsakt geben, was auch immer das sein mag. Nur mit Mühe und unter äußerster Diskretion gelang es dem Bundeskanzleramt, Angela Merkel als Rednerin dabei durchzusetzen. Mit anderen Worten: Kohl oder seine Frau wollten gar keine deutschen Redner. Und schon gar keinen offiziellen Akt auf deutschem Boden. Es ist ja auch bei Lichte besehen unter den deutschen Politikern keiner mehr übrig, den der Altkanzler nicht für einen Verräter hielt. Dafür sollte dann Ungarns Ministerpräsident Orbán sprechen, der zwar in seinem Land die Demokratie mit Füßen tritt, aber die Hauptbedingung in der Welt der Kohls erfüllt: Er hat nie auch nur einen Funken Kritik am Kanzler der Einheit geäußert.

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Jens Thurau ist Korrespondent im Hauptstadtstudio

Norbert Lammert fand die richtigen Worte: Die Würdigung Kohls sei "bei allem Respekt nicht nur eine Familienangelegenheit". Wobei "Familie" hier wohl nur für einen einzigen Menschen steht: die Witwe Kohls - Maike Kohl-Richter. Kohls ältester Sohn aus erster Ehe wird derweil von der Polizei am Betreten seines Elternhauses gehindert. Wie tief sind die Abgründe, die sich da auftun?

Tatsächlich kann man fragen, was es einen Bundesbürger fast 27 Jahre nach der Einheit kümmern muss, wenn der Architekt dieses Weltereignisses offenbar mit den heutigen Vertretern des Landes nichts mehr zu tun haben will, auch nach seinem Tod nicht. Aber es sagt viel über die Sichtweise Helmut Kohls selber aus: Wer ihn nicht rückhaltlos unterstützte, gehörte zur finsteren Seite der Macht. Kohls Nachfolger, alle - im Kanzleramt, in der CDU, wo auch immer - haben stets seine entscheidende Rolle in der Wendezeit gewürdigt, schon zu Lebzeiten. Das hat ihm nicht gereicht. Und seiner Witwe erst recht nicht.

Egomanisch und selbstgerecht

Diese Sichtweise ist egomanisch und selbstgerecht. Denn Kohl war der Kanzler der Einheit, aber deren Auslöser war die friedliche Revolution in der DDR - gemacht von mutigen Frauen und Männern auf den Straßen. Und der Einigungsvertrag ist verbunden mit dem Namen von Wolfgang Schäuble, mit dem Kohl - was sonst ? - später ebenfalls brach. Es waren viele Menschen daran beteiligt, dass dieser deutsche Glückmoment gelang.

Den Deutschen unter ihnen wird nun ein eigener Staatsakt verweigert. Das ist dumm und arrogant. Und es wirft ein Licht auf die Sichtweise, die Kohl selbst offenbar von der Zeit der Wende, vielleicht von seinem ganzen politischen Leben hatte: Recht hatte ausschließlich er, worum immer es auch ging. Wie erbärmlich.

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