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Warten auf Merkels Wende

17. Februar 2016

Der anstehende EU-Gipfel muss dringend eine gesamteuropäische Lösung der Flüchtlingskrise finden. Doch der bisherige Kurs der deutschen Bundeskanzlerin kann nicht die Antwort sein, meint Christoph Hasselbach.

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Merkel inmitten von EU-Kollegen (Foto: picture-alliance/dpa/S. Lecocq)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Lecocq

Zwei Lösungsansätze in der Flüchtlingskrise werden immer wieder genannt, um radikaleren Forderungen entgegenzutreten: Man müsse vor allem die Fluchtursachen bekämpfen. Und: Es könne nur eine europäische Lösung geben. Beides ist richtig, dient aber oft als Ausrede, um unangenehmen Entscheidungen aus dem Weg zu gehen. Bis in allen Ländern, aus denen Menschen wegen Krieg, Verfolgung oder Perspektivlosigkeit fliehen, Stabilität und Wohlstand eingekehrt sind, dürften Jahrzehnte vergehen. Wenn es denn überhaupt je gelingt. Und bislang sind alle Versuche, mit dem Andrang gesamteuropäisch umzugehen, gescheitert.

Schlimmer noch, die Fronten innerhalb der EU sind verhärteter als je zuvor. Die Bundeskanzlerin steht dabei mit ihrer immer noch vergleichsweise liberalen Flüchtlingspolitik allein. Zuletzt hat sogar Frankreichs Ministerpräsident Valls klargemacht, dass Merkel bei der Aufnahme von Flüchtlingen von diesem engen Bundesgenossen nicht mehr viel erwarten kann.

Mangelndes Vertrauen im In- und Ausland

Drei Viertel der Deutschen meinten zuletzt in einer Umfrage, dass die Regierung die Flüchtlingssituation nicht im Griff habe. Erst recht auf europäischer Ebene - und hier viel früher als in Deutschland - wird Merkels Politik der offenen Tür mit Kopfschütteln, ja mit blankem Entsetzen quittiert. Und während Merkel weiter versucht, die EU für eine gemeinsame Lösung nach ihren Vorstellungen zu gewinnen, muss sie feststellen, dass ihre Autorität aus der Zeit der Staatsschuldenkrise dahin ist.

Eine faire Verteilung der Flüchtlinge? Viele in Europa meinen, Merkel habe den Massenzustrom durch ihre großzügige Aufnahmegeste erst richtig in Gang gebracht. Ein festes Aufnahme-Quotensystem? Das gilt in Zeiten durchlässiger EU-Außengrenzen als Blankoscheck für dauerhafte Einwanderung. Der Plan, dass die Türkei Flüchtlinge im eigenen Land hält, die EU dafür zahlt und der Türkei definierte Flüchtlingskontingente abnimmt? Präsident Erdogan hat angedeutet, dass er die Schleusen jederzeit öffnen und von den Europäern fast jeden Preis verlangen kann. Und die Bereitschaft der meisten EU-Staaten, freiwillig auch nur kleine Kontingente aufzunehmen, ist mehr als gering.

Christoph Hasselbach (Foto: DW/M.Müller)
DW-Redakteur Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Das einzige, was in dieser Krise alle EU-Staaten verbindet, ist der Wunsch nach Abschottung. Die organisieren die Mitgliedsstaaten zunehmend national oder in Gruppen: Schweden hat längst das Ende seiner liberalen Einreisepolitik verkündet; Österreich eine Obergrenze beschlossen und dabei bewusst einen Dominoeffekt auf der Balkanroute eingeplant; die Visegrad-Staaten wollen sogar dem Nicht-EU-Land Mazedonien "helfen", die Grenze nach Griechenland abzuriegeln, weil Griechenland den Flüchtlingsstrom Richtung Norden nicht aufhält. Das liefe auf einen Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum hinaus, der durch zahlreiche Grenzkontrollen ohnehin schon arg lädiert ist. Schengen ist akut bedroht, Opfer der europäischen Uneinigkeit zu werden.

Lösung vor dem Sommer dringend gesucht

Der EU bleiben nur wenige Wochen, um die Flüchtlingszahlen deutlich zu verringern. Daran wird auch der Gipfel gemessen werden. Merkel wird aber ihre großherzige Flüchtlingspolitik nicht gegen die große Mehrheit der Europäer fortsetzen können. Hält sie den Zutritt nach Deutschland weiter offen, während sich die anderen verschließen, wird Deutschland die gesamte Last allein tragen müssen. Das allerdings wird ihr auch die Mehrheit der eigenen Landsleute nicht durchgehen lassen.

Aber es steht auch europapolitisch zuviel auf dem Spiel. Es gibt in der EU ein starkes Interesse, diese beispiellose Krise gemeinsam zu lösen. Doch Merkels Kurs des "Wir schaffen das" und des "Es gibt keine Obergrenze" kann dafür kein Maßstab sein. Es wird Zeit für einen neuen Pragmatismus.

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Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik