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Einen Grund zur Freude auf die WM gibt es

Joscha Weber Bonn 9577
Joscha Weber
14. Juni 2018

Die WM 2018 in Russland beginnt und bei manch einem fehlt noch die echte Euphorie. Für DW-Sportredakteur Joscha Weber liegen die Gründe auf der Hand - und dennoch sieht er Hoffnung für ein großes Turnier.

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Fußball-WM 2014 Halbfinale Brasilien - Deutschland Fans
Die WM verbindet: Ok, diese Fans trennten 2014 sechs Tore - aber dennoch entstanden neue FreundschaftenBild: picture-alliance/dpa/P. Powell

Zugegeben, die Sache mit der Vorfreude fällt dieses Mal nicht ganz leicht. Die WM 2018 beginnt, aber wo ist das übliche Kribbeln? Diese kindliche Freude auf fünf Wochen Fußball, auf begnadete Ball-Streichler aus aller Welt, auf Tipp-Spiel-Siege im Kollegenkreis oder die sehr deutsche Tradition des Rudelguckens mit Bier und Bratwurst? Hhm. Früher war die doch so kurz vor dem Start längst da, oder?

Während ich dem schalen Bauchgefühl noch nachfühle, schaltet sich der Kopf ein. Na, ist doch klar: Wie soll angesichts all dieser Probleme, Negativschlagzeilen und handfesten Skandale im Vorfeld des Turniers auch echte WM-Vorfreude aufkommen? Allein der Gastgeber Russland: Ein Land, das heimtückisch versucht, Menschen mit Nervengift zu töten, das völkerrechtswidrig die Krim annektiert, das in Syrien Krankenhäuser bombardiert, das angeblich befreundete Nationen hackt, ausspioniert, das sich die teuerste WM der Geschichte leistet, während viele Russen in Armut leben, das die Sportwelt über Jahre mit einem Doping-System betrügt und das den Journalisten, der den Betrug aufdeckte so bedroht, dass der nicht einreist - darf dieses Land eine WM ausrichten? Noch dazu wenn längst bekannt ist, dass einige der damaligen Entscheider der WM-Vergabe bei der FIFA verdächtige Geschäfte mit dem russischen Staatskonzern Gazprom machten?

Die eigene Logik der FIFA

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DW-Sportredakteur Joscha Weber

Und überhaupt die FIFA: Der veranstaltende Konzern, pardon: der gemeinnützige Verein nach Schweizer Recht, bestraft einerseits Verbände wie Nigeria wegen "politischer Einmischung" mit dem Ausschluss (2014), und belohnt andererseits Verbände wie den der USA für "politische Einmischung" mit einer WM - oder wie darf man Donald Trumps Droh-Tweets an die Fußballwelt vor der Vergabe der WM 2026 bitte sonst verstehen? Das ist in etwa so, als gäbe es für die eine Blutgrätsche die Rote Karte und für die andere direkt den WM-Pokal.

Nun gut, es gibt also genügend Gründe, sich nicht auf diese WM 2018 in Russland zu freuen. Aber es gibt mindestens einen, es doch zu tun: Die WM verbindet. Sie hat es schon immer getan. Und mit dem globalen Siegeszug des Fußballs tut sie es bei jeder Austragung ein kleines Stück mehr. Fußball ist eine Sprache, die beinahe jeder versteht, in jedem Land der Welt. Das Spiel bringt Menschen von allen Kontinenten zusammen, sie tauschen sich aus, treten in Dialog, lernen sich überhaupt erst richtig kennen, verlieren Vorurteile, verstehen einander und überwinden Grenzen. Von denen gibt es zwischen Gastgeber Russland und dem sogenannten Westen sowie einigen Staaten Asiens und Ozeaniens viele. Diese Grenzen tatsächlich wieder etwas aufzuweichen, wäre ein Erfolg dieser WM.

Schreibt der Sport ein zweites Märchen in 2018?

Inmitten von diplomatischen Krisen zwischen den zunehmend isolierten Russen und der Welt um sie herum bietet das Fußball-Turnier eine Chance auf ein klein wenig Annäherung. Neben der erwarteten halben Million internationaler Besucher wären auch Staats- und Regierungschefs gut beraten, sie zu nutzen. Denn während Boykotte von Sportevents erwiesenermaßen bisher rein gar nichts gebracht haben, hat erst dieses Jahr wieder gezeigt, welch große verbindende Kraft der Sport haben kann. Die Olympischen Spiele von Pyeongchang führten zunächst beim Eishockey, später auf politischem Parkett zu einer nicht für möglich gehaltenen Annäherungen der beiden Koreas. Sollte dies zwischen Russland und dem Westen nur annähernd gelingen, wäre das ein wahrhaftes Sommermärchen - und endlich ein Grund zur Freude.

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