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Weißbuch mit Grautönen

Marcel Fürstenau13. Juli 2016

Der neue sicherheitspolitische Kompass der Bundesregierung schlägt in alle Richtungen aus. Auch deshalb ist er als Orientierungshilfe für die Rolle Deutschlands nur bedingt tauglich, meint Marcel Fürstenau.

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Das Weißbuch zur Sicherheitspolitik.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

"Deutschlands sicherheitspolitischer Horizont ist global." Dieser Satz steht im neuen Weißbuch der Bundesregierung. Das Kabinett Merkel bringt damit seinen Anspruch zum Ausdruck, im Konzert der Großen auch militärisch an vorderster Front mitzuspielen. Zu den Ghostwritern für diese nun auf 142 Seiten nachzulesende Strategie gehört Bundespräsident Joachim Gauck. Der hat schon 2014 auf der Münchener Sicherheitskonferenz den Takt vorgegeben: Deutschland müsse mehr Verantwortung in der Welt übernehmen - auch militärisch.

Worte wie diese aus dem Munde eines ehemaligen Pfarrers waren Balsam für die Seele der Verteidigungsministerin. Ursula von der Leyen (CDU) sorgt sich schon lange um den Zustand der Truppe, die seit dem Ende des Kalten Krieges vor mehr als 25 Jahren personell und waffentechnisch stark ausgedünnt wurde. Für die neuen, oft unerwarteten Herausforderungen war und ist sie nur unzureichend ausgerüstet. Das soll, das wird sich ändern - auch ohne Weißbuch. Denn schon vor der Veröffentlichung des sicherheitspolitischen Leitfadens war eine spürbare Erhöhung des Verteidigungsetats beschlossene Sache.

Künftige Auslandseinsätze sind schon eingepreist

Knapp 35 Milliarden Euro stehen aktuell zur Verfügung. Bis 2020 sollen gut zehn Milliarden dazu kommen. In diese Kalkulation sind neben notwendigen Modernisierungen wohl schon die geschätzten Kosten für weitere Auslandseinsätze eingepreist. Belege für diese Vermutung finden sich an etlichen Stellen des Weißbuches. So will sich Deutschland die Stärkung des europäischen Pfeilers im Nordatlantischen Verteidigungsbündnis (NATO) einiges kosten lassen. Man sei bereit, "in Vorleistung zu treten und in einer erheblichen Breite als Rahmennation zu wirken".

Bei Lichte betrachtet hat die Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten den seit den 1990er Jahren geschaffenen Tatsachen Weißbuch-Worte folgen lassen. Damit hat sich Deutschland reichlich spät ein Stück weit ehrlich gemacht. Denn eine rein defensiv ausgerichtete Armee zur klassischen Landesverteidigung ist die Bundeswehr schon seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Wie dünn das Eis der "humanitär" begründeten Auslandseinsätze sein kann, war schon früh im völkerrechtlich höchst umstrittenen Krieg der NATO gegen Jugoslawien zu beobachten. Es war die erste und bis heute einzige rot-grüne Bundesregierung, die den Tabu-Bruch vollzog.

DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel Fürstenau
DW-Hauptstadtkorrespondent Marcel FürstenauBild: DW/S. Eichberg

Die Bundeswehr ist auch eine Interventionsarmee

Kein anderer Bundeswehr-Einsatz außerhalb Deutschlands war so umstritten, wie der auf dem Balkan. Aus einem nachvollziehbaren Grund: Er markierte unübersehbar den Paradigmenwechsel von der klassischen Landesverteidigung hin zur potenziellen Interventionsarmee. Dieses Selbstverständnis wird angesichts von aktuell 15 (!) Auslandsmissionen im neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik gewissermaßen nachträglich begründet. Zugleich dient es als Blaupause für alle künftigen Engagements. Dabei wird Deutschland häufiger freiwillig eine Führungsrolle übernehmen.

Ob das gut oder schlecht ist, hängt vom Einzelfall ab. Die beim jüngsten NATO-Gipfel beschlossene Stationierung deutscher Truppen im Baltikum war jedenfalls keine kluge Idee. Stärke gegenüber dem militärisch aggressiven Russland lässt sich im NATO-Rahmen auch ohne einen übertrieben demonstrativen Einsatz der Bundeswehr zeigen. Das Vorgehen steht im denkbar schärfsten Kontrast zu den mahnenden Worten des deutschen Außenministers. Frank-Walter Steinmeier (SPD) warnte im Juni unter dem Eindruck von NATO-Manövern an der Ostgrenze des Bündnisses vor "Säbelrasseln und Kriegsgeheul".

Einfallstor für den Bundeswehr-Einsatz im Innern

Deutschland wäre gut beraten, die offenkundig bewusst formulierten Spielräume im Weißbuch zur Sicherheitspolitik zurückhaltend anzuwenden. Das gilt auch für den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Gemäß Grundgesetz ist das nur im Verteidigungs- oder Spannungsfall sowie bei Unglücksfällen zulässig. Als typischer Unglücksfall gilt zum Beispiel eine Natur-Katastrophe wie Hochwasser. Künftig sollen Soldaten aber auch bei "terroristischen Großlagen" im Inland eingesetzt werden dürfen.

Schwammiger lässt sich ein solches Szenario kaum umschreiben. Ist die Zahl der Toten nach einem Attentat ausschlaggebend? Oder die von Sicherheitsbehörden attestierte Gefahr bevorstehender Anschläge? Es ist eine grundsätzliche Schwäche des neuen Weißbuches, dass es ihm an vielen Stellen an der nötigen Präzision fehlt. Bei so vielen Grautönen ist es aber schwierig, sich ein klares Bild von den Zielen der deutschen Sicherheitspolitik zu machen.

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