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Kommentar: Wo ist die Grenze?

16. Oktober 2017

Der "Kniefall von Berlin", mit dem Hertha BSC sich US-Protesten gegen Rassismus anschließt, sorgt für Aufsehen. Fraglich ist jedoch, wer den Anstoß gab und wie politisch der Sport sein sollte, meint Andreas Sten-Ziemons.

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Bundesliga - Hertha gegen Schalke: Hertha Spieler knien vor Anpfiff des Spiels
Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Sohn

War der "Kniefall von Berlin" nun eine Aktion, die aus den Reihen der Berliner Mannschaft kam, oder sind Spieler, Trainer, Betreuer und Manager nur dem Vorschlag einer PR-Agentur gefolgt, die sehr richtig überlegt hatte, dass man mit einem medienwirksamen Aufspringen auf den Anti-Diskriminierung-Protestzug international für Aufsehen sorgen kann?

Das Echo fällt recht unterschiedlich aus: Die einen loben die gute und richtige Aktion, andere diffamieren das Hinknien als aufgesetzt und von oben verordnet. Extreme Stimmen setzen die Berliner Spieler, die sich vor dem Bundesligaspiel gegen Schalke 04 unterhakten und ein Knie beugten, sogar mit den deutschen Nationalspielern gleich, die während der Nazizeit vor jedem Spiel den rechten Arm zum Hitlergruß reckten.

Keine Regelung durch DFB-Regeln

Generell lässt sich diskutieren, ob und inwieweit politischer Protest oder politische Statements im Fußballstadion oder im sonstigen Sport etwas zu suchen haben.

Sten Ziemons Andreas Kommentarbild App
Andreas Sten-Ziemons

Die DFB-Regeln legen dazu folgendes fest: "Die Ausrüstung darf keine politischen, religiösen oder persönlichen Slogans, Botschaften oder Bilder aufweisen. (…) Bei einem Verstoß werden der Spieler und/oder das Team durch den Wettbewerbsorganisator, den nationalen Fußballverband oder die FIFA sanktioniert."

Über politischen Protest einer gesamten Mannschaft steht nichts im Regelwerk. Fällt die Aktion der Herthaner also in den Geltungsbereich dieser Regel mit hinein? Und wo soll man überhaupt die Grenze ziehen? Sind geschlossene Proteste einer Bundesliga-Mannschaft gegen den syrischen Machthaber Baschar al-Assad ebenfalls in Ordnung? Oder ein Kniefall zur Unterstützung des Strebens der Kurden nach einem unabhängigen Staat? Oder sogar eine Parteinahme zu Gunsten der Palästinenser im Nahost-Konflikt?

Merkwürdige Begleiterscheinungen

Der vom US-amerikanischen Footballspieler Colin Kaepernick ins Leben gerufene Protest gegen Rassendiskriminierung und für Toleranz und Gleichberechtigung ist meiner Meinung nach absolut unterstützenswert. Fraglich ist nur, wie und warum man sich ihm anschließt. Und auch wenn die Absicht der Hertha und die resultierenden Folgen gut sind, ein Beigeschmack bleibt: So wirkte es zumindest merkwürdig, dass Ex-Nationalspieler Christoph Metzelder, mittlerweile Geschäftsführer der Werbeagentur Jung-von-Matt, in seinem Nebenjob als TV-Experte beim Sender Sky die Gelegenheit bekam, die knienden Hertha-Spieler live auf dem Sender für die Aktion zu loben, die seine Firma selbst mit eingestielt hatte.

Auch ein Tweet von Ex-Twitter-Chefin Katie Jacobs Stanton direkt nach dem "Kniefall" spricht ein wenig dagegen, dass der Antrieb zur Aktion aus der Mannschaft kam. Sie sendete ein Lob für ihren ehemaligen Mitarbeiter und "Twitter-Star" Paul Keuter, der mittlerweile in der Geschäftsleitung der Hertha "für die Weiterentwicklung digitaler Geschäftsmodellen und der damit verbundenen strategischen Ausrichtung für das Marketing" zuständig ist. Die Aussagen der Hertha-Spieler erinnern ein wenig an die von Musikern, die behaupten alle Songs stammten aus eigener Feder und seien beispielsweise beim letzten Roadtrip durch die USA entstanden, während dahinter in Wahrheit ein Team professioneller Musikproduzenten steckt und der Künstler nur das "Gesicht" zum Lied liefert.

Unter Strich haben die Herthaner und die möglicherweise dahinter stehenden Initiatoren ihr Ziel erreicht: Es wird über den "Kniefall von Berlin" diskutiert. Wünschenswert wäre allerdings, dass es - solange nicht wirklich die sportlichen Akteure hinter solchen Aktionen stehen - ein Einzelfall bleibt, und an den kommenden Spieltagen bis zur Winterpause nicht auch noch der "Kniefall von Dortmund", der "Kniefall von Hoffenheim" und der "Kniefall von Leverkusen" diskutiert werden müssen.