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Die Laufzeiten der Kernkraftwerke werden verlängert

23. Januar 2010

Die Bundesregierung will die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke verlängern. Die Grünen kündigen massive Proteste für den Fall an, dass der Atomausstieg rückgängig gemacht werden sollte.

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Das Kernkraftwerk Biblis (Foto: AP)
Bild: AP

Noch ist nicht klar, wie lange die 17 deutschen Atommeiler am Netz bleiben sollen. Fest steht aber: Länger als ursprünglich geplant laufen sie auf jeden Fall. Denn genau darauf haben sich offenbar die Spitzen der vier großen deutschen Energiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW mit der Bundesregierung am Donnerstagabend im Kanzleramt in Berlin geeinigt.

Nachdem über dieses Treffen zunächst keine Einzelheiten bekannt geworden waren, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" dann am Samstag (23.01.20010) aber vorab, man habe sich darauf geeinigt, alle 17 Atommeiler in Deutschland zunächst weiter am Netz zu lassen. Dazu sollten bis zu einem neuen Energiekonzept, das die Bundesregierung voraussichtlich im Herbst vorlegen will, Strommengen von anderen Anlagen auf ältere Reaktoren übertragen werden können. Ein Regierungssprecher erklärte dazu, dies sei nach gegenwärtiger Rechtslage ohne Zustimmung der Bundesregierung möglich.

Damit können auch die Reaktoren Neckarwestheim I in Baden-Württemberg und Biblis A in Hessen weiter laufen, die eigentlich im Frühjahr bzw. im Herbst abgeschaltet werden sollten - eine Entscheidung der damaligen rot-grünen Regierungskoalition unter Kanzler Gerhard Schröder.

Kritik der Opposition

Gegen eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken formiert sich Widerstand. "Jede Aufkündigung des Atomkonsenses wäre eine Kampfansage, die einen lange befriedeten Konflikt in der Gesellschaft wieder aufreißen würde", so der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, im "Tagesspiegel am Sonntag". Die Grünen würden sich dem mit allem widersetzen, was ihnen zur Verfügung stehe.

Scharfe Kritik am Kurs der Regierung übte auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Er äußerte die Vermutung, Bundeskanzlerin Angela Merkel wolle das heikle Thema Atomausstieg bis zu den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen im Mai aus der Diskussion halten. Dabei seien die schmutzigen Deals schon gemacht, so Gabriel weiter, der in der Vorgängerregierung Umweltminister war.

Umstrittene "Brücken-Technologie"

Tatsächlich hatte Merkel mehrfach betont, die Atomkraft sei nicht ihre bevorzugte Energiequelle, bleibe aber eine Brückentechnologie, bis genug Strom aus erneuerbaren Energien gewonnen werden könne. Und neue Atomkraftwerke werde es nicht geben, hatte Merkel wiederholt bekräftigt.

Gabriel warf der Bundesregierung nun vor, sie habe den Atomkonzernen bei dem Spitzentreffen im Kanzleramt zugesagt, auf die noch im Koalitionsvertrag versprochene strenge Sicherheitsüberprüfung zu verzichten. Dabei würde eine Abkehr vom Atomausstieg nach Gabriels Worten rund 300.000 Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien gefährden. Niemand werde Milliarden in Offshore-Windparks investieren, wenn er den Strom dann nicht verkaufen könne, weil das Netz voll sei mit Atomstrom.

SPD-Chef Sigmar Gabriel(Foto: AP)
SPD-Chef Gabriel fordert mehr erneuerbare EnergienBild: AP
Das AKW Neckarwestheim (Foto: dpa)
AKW NeckarwestheimBild: dpa
Logo des Energieversorgers RWE (Foto: dpa)
Die Energiekonzerne RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW sind gegen einen AtomausstiegBild: picture-alliance/ dpa
Hochspannungsleitung, im Hintergrund das Kernkraftwerk Biblis (Foto: dpa)
AKW BiblisBild: picture-alliance/ dpa

Andererseits kann Deutschland tatsächlich nicht sofort völlig auf die Atomkraft verzichten - deshalb war ein schrittweiser Ausstieg beschlossen worden. Der Anteil an erneuerbaren Energien sei aktuell noch viel zu gering, um den Energiebedarf der Deutschen zu decken, argumentieren Politiker aller Parteien. CDU und FDP wollen, dass Ökoenergie bis 2020 einen Anteil von 20 Prozent an der Stromerzeugung hat - das entspricht den EU-Vorgaben.

Trickserei für längere Laufzeiten

Für die Energiekonzerne war der Wahlsieg von Schwarz-Gelb dennoch ein Freudenfest: Die neue Bundesregierung hatte bereits im Wahlkampf angekündigt, die Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern zu wollen. Für die Energiekonzerne bedeutet das Milliardengewinne, da die älteren Anlagen bereits abgeschrieben sind. Erneuerbare Energien sind im Gegensatz dazu für die Konzerne äußerst teuer.

Die Energiefirmen hatten daher im vergangenen Jahr getrickst: Einige Atommeiler hätten nach den Vereinbarungen mit Rot-Grün bereits vor der Bundestagswahl vom Netz gehen sollen. "Spontan" starteten die Konzerne intensive Reparatur- und Wartungsarbeiten, nahmen die betroffenen AKW für einige Monate vom Netz, um damit die Gesamt-Laufzeit nach hinten zu verlängern. In der Zwischenzeit hatte Deutschland gewählt - und die vor Jahren unterzeichneten Beschlüsse und Gesetze zum Atomausstieg (im so genannten Atomkonsens) waren ohne Bedeutung.

Autoren: Hartmut Lüning, Anna Kuhn-Osius (ap, dpa, afp, rtr)
Redaktion: Hajo Felten