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Kommt die Torlinientechnik?

Olivia Fritz5. Juli 2012

Die Regelhüter des Weltfußballs entscheiden über die Einführung technischer Hilfsmittel für Schiedsrichter. Tor oder nicht Tor? Diese Frage könnte künftig zweifelsfrei beantwortet werden.

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EM-Spiel England - Ukraine: Englischer Spieler John Terry klärt den Ball hinter der Linie (Foto: dapd)
Bild: dapd

Das International Football Association Board (IFAB) des Fußball-Weltverbands FIFA entscheidet an diesem Donnerstag (05.07.2012) bei einer Sitzung in Zürich nach jahrelangen Diskussionen über die Torlinientechnik. Vieles spricht dafür, dass das Gremium 46 Jahre nach dem berühmten Wembley-Tor Hightechhilfe zulassen wird. Die vermeintlichen Heilsbringer heißen Hawk-Eye (Torkamera) und GoalRef (Chip im Ball), die beide von der FIFA über neun Monate gestestet wurden. Mit ihnen könnten künftig Fehlentscheidungen vermieden werden.

Das menschliche Auge kann irren

Fast immer wenn die Fußballwelt hitzig darüber debattiert, ob der Ball tatsächlich hinter der Torlinie war oder nicht, scheint England beteiligt zu sein: Im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 1966 hatte Deutschland beim berühmten Wembley-Tor das Nachsehen. Die Revanche folgte bei der WM 2010: Ein reguläres Tor der Briten im Achtelfinale gegen Deutschland zählte nicht.

Und jüngst erzürnte bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine wieder ein nicht gegebenes Tor die Gemüter: Im letzten Vorrundenspiel erzielte der ukrainische Spieler Marko Devic gegen England ein Tor, das die Schiedsrichter nicht als solches anerkannten. Diese Entscheidung war faktisch zwar richtig, denn es war ein Abseitstor, doch der Schiedsrichter erkannte das Tor aus einem anderen Grunde nicht an: Er und sein Team hatten den Ball gar nicht im Tor gesehen. Seit der Saison 2009/10 hat die Europäische Fußballunion (UEFA) zusätzlich zwei spezielle Schiedsrichter eingeführt, die "Torrichter". Sie sollen entscheiden: Tor oder kein Tor?

Mit ihren unterschiedlichen Positionen stehen sich vor allen Dingen FIFA-Präsident Joseph Blatter und UEFA-Boss Michel Platini gegenüber. Der Franzose unterstrich auch nach dem Vorfall bei der EM, "absolut gegen" die Torlinientechnik zu sein. Blatter hatte dagegen nach der Partie mitgeteilt, dass die Technik keine Alternative mehr sei, "sondern eine Notwendigkeit". Zuletzt waren zwei Systeme getestet worden:  "GoalRef" und "Hawk-Eye".

Zwei Fußballhälften mit Chip (Foto: Oliver Braun)
Passiert der Ball mit Chip die Torlinie, wird dem Schiedsrichter ein Funksignal auf seine Uhr übermitteltBild: Oliver Braun

Wer macht das Rennen - Kamera oder Chip?

Das englische System "Hawk-Eye" kommt bereits bei anderen Sportarten wie zum Beispiel Tennis oder Cricket zum Einsatz. Dabei werden mehrere Kameras positioniert, die aus unterschiedlichen Perspektiven mehrere hundert Bilder pro Sekunde aufnehmen. Herkömmliche Kameras schaffen nur 25 Bilder pro Sekunde. Auf dieser Basis kann in 3-D-Simulationen bis auf wenige Millimeter genau die Position des Balles dargestellt werden.

Hawk-Eye-Kamera im Stadion (Foto: dapd)
Eine Hawk-Eye-Kamera im EinsatzBild: dapd

Damit ist der Beweis stichhaltig: Der Tennisball war im Aus und der Fußball tatsächlich im Tor. Das System wurde von Dr. Paul Hawkins entwickelt, einem britischen Mathematiker. Es hat aber auch einen Nachteil: Sollte aus irgendeinem Grund die Sicht auf den Ball behindert sein, kann auch die modernste Kamera nichts zeigen. Außerdem ist das System nicht gerade preiswert.

Die deutsche Alternative "GoalRef", die bereits im Handball erprobt ist, basiert auf einem Chip im Ball und einem Magnetfeld am Tor. An der Strafraumgrenze und hinter dem Tor werden dünne Stromkabel verlegt. Ebenfalls computerunterstützt wird dem Schiedsrichter sofort auf einer speziellen Armbanduhr ein Signal übermittelt, sobald der Ball die Torlinie überquert. Das System funktioniert so ähnlich wie der Diebstahlschutz im Kaufhaus. Auch hier gibt es ein Alarmsignal, sobald der Chip bzw. die Diebstahlsicherung eine bestimmte Position passiert. Der Chip kann theoretisch in jeden Ball eingesetzt werden.

Deutsche sind für die Technik

Nicht nur die deutschen Nationalspieler Sami Khedira und Thomas Müller sprachen sich bei der EM für die Torlinientechnik aus. Auch die deutschen Schiedsrichter und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach halten sie für richtig. Sollten sich die FIFA-Regelhüter generell für eine der Techniken entscheiden, dürfen sich in einer anschließenden Zertifizierungphase übrigens auch andere Firmen mit ähnlichen Systemen Hoffnungen auf einen Zuschlag machen.

DFB-Präsident Wolfgang Niersbach (Foto: dapd)
DFB-Präsident Niersbach plädiert für die TorlinientechnikBild: dapd

Damit wäre die Tür auch für andere technische Hilfsmittel aufgestoßen. In Sportarten wie Eishockey, American Football oder in der US-Basketball-Profiliga NBA gehören zum Beispiel Videobeweise seit langem zum Standard. Beim Radsport, Rudern oder in der Leichtathletik entscheiden Zielfotos über Sieg und Niederlage.

Wenn sich die FIFA tatsächlich für die Technik entscheiden sollte, darf trotzdem jedes Land selbst entscheiden, ob es davon Gebrauch macht möchte. Laut FIFA-Präsident Blatter kämen die Neuerungen frühestens bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien zum Einsatz.