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Somalia nach dem Fall der Al Shabaab-Hochburg Kismayo

Ludger Schadomsky3. Oktober 2012

Lange war die südsomalische Hafenstadt Kismayo Rückzugsort der Al Shabaab-Milizen. Jetzt haben dort somalische und kenianische Truppen das Sagen. Die Gefahr durch die Radikalen ist trotzdem nicht gebannt.

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Kenianischer Soldat mit Helm. Auf dem Helm steht auf Kisuaheli "Tea in Kismayo". (Foto: AP Photo/Ben Curtis)
Bild: dapd

Nach wochenlangen Kämpfen und häufig verfrühten Berichten über einen Fall der letzten Bastion der Al Shabaab in Somalia haben am Montag (01.10.2012) schwer bewaffnete somalische Regierungstruppen und kenianische Verbände der Afrikanischen Union Mission Somalia (AMISOM) die Kontrolle über Kismayo übernommen. Zuvor hielten sie zentrale Posten in der südsomalischen Stadt besetzt, die den Islamisten als Hochburg und wirtschaftliches Zentrum diente. Schon am Wochenende hatte ein Großteil der Rebellen die Stadt verlassen, nachdem kenianische Kampfjets Angriffe gegen verbleibende Shabaab-Stellungen geflogen hatten.

Mit Kismayo fällt die Schaltzentrale von Al Shabaab

Die USA gratulierten AMISOM zu dem Erfolg. Der Afrikabeauftragte Johnnie Carson sagte, er hoffe, der Fall der Al Shabaab-Bastion Kismayo werde "Stabilität nach Somalia zurückbringen und die Gefahr des Terrorismus für Somalia und seine Nachbarn allmählich verringern." Kismayo war nicht nur die politische Schaltzentrale der Radikalen, sondern auch eine wichtige Einnahmequelle. Mit dem Export von Holzkohle nach Saudi Arabien und mit Schutzgeldern füllten sie hier ihre Kriegskasse. Waffen wurden unkontrolliert über den 1964 mit amerikanischer Unterstützung erbauten Hafen eingeführt.

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Die Hafenstadt Kismayo war die letzte Bastion von Al Shabaab in Somalia

Nach Agenturmeldungen begrüßten viele Anwohner aus Kismayo die Ankunft der Regierungstruppen in ihrer Stadt. Doch ihre und die Freude der USA könnte von kurzer Dauer sein: Zwar regierten die Islamisten mit harter Hand und mit einer ultrakonservativen Auslegung des Koran. Ein strenger Kleiderkodex wurde ebenso eingeführt wie ein Verbot von Fußballübertragungen oder "westlichen" Klingeltönen auf dem Mobiltelefon. Augenzeugenberichten zufolge gab es darüber hinaus Steinigungen und öffentliche Exekutionen. Die meisten Analysten sind sich aber einig, dass der Fall von Kismayo die Sicherheitslage nicht unbedingt verbessern wird.

Noch nicht das Ende von Al Shabaab in Somalia

Es gilt als sicher, dass nicht alle Rebellen die Stadt verlassen haben, um in den dichten Wäldern zwischen Kismayo und Afmadow und in den nördlich gelegenen Städten Jamame und Kabsuma Unterschlupf zu finden. Kleine Verbände der Radikalen sind aller Wahrscheinlichkeit nach in Kismayo geblieben und bereiten dort Guerilla-Attacken vor. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet von einem Bewohner, der nach öffentlichem Jubel über die Vertreibung der Islamisten von einer Gruppe Unbekannter mit Kopfschüssen exekutiert wurde. "Wir können zu diesem Zeitpunkt nicht behaupten, dass dies das Ende von Al Shabaab in Somalia ist", sagt Journalist Mohammed Chine in Mogadischu. "Noch haben die Radikalen ein Arsenal von schweren Waffen. Ich befürchte einen Guerillakrieg", so der DW-Korrespondent. Somaliaexperte Rashid Abdi in Nairobi pflichtet dem bei: "Der Fall von Kismayo bedeutet nicht, dass Al Shabaab nun aufgeben und dem bewaffneten Kampf entsagen wird. Im Gegenteil: Sie werden noch lange Zeit extrem lästig bleiben."

Soldaten der regulären somalischen Armee nach dem Anschlag auf dem neugewählten Präsidenten. (Foto: REUTERS/Omar Faruk)
Schauplatz des Selbstmordattentates in Mogadischu kurz nach der Amtseinführung des neuen PräsidentenBild: Reuters

Guerillakrieg droht

Abdi und andere Somalikenner befürchten, dass die "Jungen", wie die Al Shabaab-Kämpfer übersetzt heißen, wie schon nach der Vertreibung aus Mogadischu nun zu einer asymmetrischen Kriegsführung übergehen, bei der es nicht zum direkten Kampf kommt: Selbstmordattentate und ferngezündete Bomben wären die Folge. Einen Vorgeschmack bekam der neue somalische Präsident Hassan Cheikh Mohamoud unmittelbar nach seiner Amtseinführung, als ein Selbstmordattentäter einen Anschlag auf eine Pressekonferenz verübte.

Somalias neuer Präsident Hassan Cheikh Mohamoud. (Foto: REUTERS/Feisal Omar)
Somalias neuer Präsident Hassan Cheikh MohamoudBild: picture-alliance/dpa

Eine zweite Unwägbarkeit sind Somalias notorisch rivalisierende Clanmilizen, die das Land in den vergangenen 21 Jahren in Schutt und Asche gelegt haben. Sie drängen jetzt in das Machtvakuum und patrouillierten, laut Agenturberichten, bereits in einigen Stadtvierteln. Auch gab es Berichte von Plünderungen und Rachemorden in der Stadt.

Der Fall von Kismayo, den der neue Präsident gerne bereits zur Amtseinführung am 10. September präsentiert hätte, könnte sich als Pyrrhussieg erweisen, wenn es der neuen Regierung in Mogadischu nicht gelingt, schnell die Kontrolle zu gewinnen und den Bewohnern das Gefühl zu vermitteln, dass sich ihre Situation verbessert. Doch die Regierung ist derzeit noch weitgehend mit der Kabinettsbildung und dem neuen Verfassungsentwurf beschäftigt.

Nachbar Kenia als Schutzmacht?

Vom Verhalten der kenianischen Soldaten wird abhängen, ob der Nachbar im Süden von den Bewohnern Kismayos als Befreier oder Besatzer angesehen wird. Äthiopische Truppen, die 2006 Mogadischu aus der Hand Radikaler befreit hatten, zogen sich durch Gräueltaten gegen Zivilisten die Wut der Somalis zu. Al Shabaab hat wiederholt Vergeltungsschläge gegen kenianische Einrichtungen geführt. Am Sonntag erschossen vermutliche Al Shabaab-Kämpfer in der Grenzstadt Garissa zwei Polizisten, am gestrigen Montag wurde eine Polizeistation angegriffen. Die poröse Grenze nach Kenia ist nur schwer zu kontrollieren, US-Geheimdienste und kenianische Behörden befürchten weitere Anschläge in den Zentren Nairobi und Mombasa.

Soldaten der kenianischen Armee in Somalia. (Foto: AP Photo/Ben Curtis, File)
Soldaten der kenianischen Armee in SomaliaBild: dapd

Kriegsführung im sozialen Netz

Der Kampf um Kismayo dürfte in die ellenlange Geschichte afrikanischer Konflikte als der erste Fall von Kriegsführung 2.0 eingehen, da beide Seiten soziale Netzwerke für ihre Propagandazwecke benutzten. Sowohl die kenianische Armee als auch die Rebellen teilten zeitweilig über den Dienst Twitter ihren Anhängern - angebliche - Erfolge mit. Die häufig ironischen Bemerkungen über die Schlagkraft der Kenianer fanden nicht nur unter Al Qadia-Sympathisanten eifrige Leser.