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Konklave im Reich der Träume

Alexander Kudascheff3. Dezember 2003

Es war als Konklave geplant, das Treffen der Außenminister in Neapel. An dessen Ende sollte eine Verfassung stehen. Ähnlich der Papstwahl sollte es heißen: " habemus constitutionem". Doch weit gefehlt.

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Die Außenminister konnten sich nicht einigen – erwartungsgemäß, so fügt man in Brüssel hinzu. Denn es war von Anfang klar: Eine neue europäische Verfassung werden die Staats-und Regierungschefs beschließen, und sonst niemand. Zur Dramaturgie gehört die Krise, die Gefahr des Scheiterns, und schließlich das Wunder, auf das alle hoffen. Und dieses Wunder wird in Brüssel geschehen, oder gar nicht. Immerhin: die drei Großen, Frankreich, England und Deutschland, haben die anderen von einer europäischen Verteidigungspolitik überzeugen können. Es wird zwar kein neues, kein eigenes Hauptquartier in Tervuren geben, aber immerhin: die Europäer wollen eine eigene Verteidungskapazität aufbauen. Das heißt: Sie haben den Willen zu einer europäischen Verteidigung – und die soll nicht im Gegensatz zur NATO stehen. Warum auch?

Für die Amerikaner, allen voran Donald Rumsfeld, ist das die Bedingung schlechthin: es darf nichts gegen die NATO entstehen, obwohl früherere amerikanische Präsidenten immer wieder den Alten Kontinent (das damals nur alte Europa) aufgefordert haben, den europäischen Pfeiler in der Verteidigungspolitik zu stärken. Jetzt scheint es soweit zu sein, schon wird man in Washington argwöhnisch. Und wirklich: es ist vor allem der französische Wunsch, dem sich die Deutschen angeschlossen haben, der die EU zur Zeit treibt, in Richtung eigener militärischer Fähigkeiten. Und Paris sieht es nicht ungern, wenn Europa sich von den USA emanzipiert, wenn die NATO geschwächt wird – woran übrigens die USA nicht ganz unschuldig sind. Sie haben, seit Bush regiert, immer wieder betont, daß die Missionen sich ihre Koalitionen suchen und nicht umgekehrt, und haben damit die NATO in eine Krise gestürzt. Jetzt brauchen sie die NATO wieder, jetzt wird sie wieder gepäppelt, soweit die Realität.

Aber von der Schuldfrage abgesehen: Europa emanzipiert sich. Es will auf eigenen Beinen stehen und es will, so sagt es, keine Doppelstrukuren. So wird es auch kommen. Denn in Europa hat niemand Geld für die Verteidigung übrig. Niemand will richtig investieren. Der Abstand zum "großen Bruder" ist immens und auf zwanzig Jahre nicht aufzuholen. Bei der Aufklärung, bei der Logistik, bei der Satellitentechnik, bei der Lufttransportfähigkeit, in der technischen Kampfkraft – überall hinken die Europäer hinterher. Wenn es darauf ankommt den Deutschen in Kundus zu den vorhandenen drei Hubschraubern noch zehn zur Verfügung zu stellen, zeigen sich alle Europäer taub, und das obwohl die NATO über 7000 Hubschrauber verfügt.

Ein lächerliches Versagen. Was soll erst werden, wenn der ISAF-Einsatz erweitert wird, auf zehn oder mehr Plätze und Regionen in der afghanischen Provinz? Aber Europa, so wiederholt es sein Mantra, wird sich in der Verteidigungspolitik einigen. Doch worauf? Auf Fähigkeiten, auf nicht mehr. Während die NATO - unter amerikanischem Druck - eine schnelle Eingreiftruppe aufbaut, schneller als gedacht, denken die Europäer in Institutionen: Soll man bei der ESVP ein bißchen aufstocken oder bei den nationalen Planungszentren in Potsdam, Paris oder London? Die Wahrheit ist: die NATO handelt, die EU träumt. Und so bleibt ihr Hoheitsgebiet das Reich der Ideen und der Träume. Eine Zahl nur zum Vergleich: der amerikanische Verteidigungshaushalt ist im vergangenen Jahr um mehr gestiegen als Peter Struck insgesamt zur Verfügung hat. Das sagt alles.