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Schlachten gegen Hunger

Jantje Hannover7. August 2012

Wegen der Dürre in der Sahelzone in Westafrika sind mehr als eine Million Kinder von Unterernährung bedroht. Mit kontrollierten Schlachtungen will die Welthungerhilfe die Krise eindämmen.

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zum Trocknen aufgehängte fleischstückchen Yatakala, Niger, Region Téra Besuch im Dorf mit Welthungerhilfe Fati Salaou (Kontrolleurin), Dorfbewohner, trockenende Fleischstücke Wer hat das Bild gemacht?: alle Jantje Hannover Wann wurde das Bild gemacht?: alle 25.4. - 29.4.2012
Die WüstenschlachtereiBild: DW/J.Hannover

Geduldig zersägt Adamou Nouhou einen Oberschenkelknochen. Der Schlachter aus dem Dorf Yatakala steht mit seinen Mitarbeitern hinter zwei mit Plastikmüllsäcken abgedeckten Tischen mitten im Sand. Seine Helfer säbeln kleine Stücke rohes Fleisch von Muskeln, Rippen und Sehnen herunter, spießen jedes einzelne auf Metallstäbe, die sie zum Trocknen in der Sonne an Drahtseilen aufhängen.

Die Wüstenschlachterei – die Mitarbeiter des Metzgers zerkleinern das Fleisch. (Foto: Jantje Hannover)
Die Mitarbeiter des Metzgers zerkleinern das FleischBild: DW/J.Hannover

Daneben schaukeln zwei auf Haken gespießte Rinderhälften an einem Holzgerüst im Wind. Die Luft ist staubig, es sind über 40 Grad im Schatten. Eine Frau im blauen Boubou - einem langen afrikanischen Kleid - nähert sich der improvisierten Schlachterei mit einem Notizheft in der Hand. Fati Salaou ist eine unabhängige Kontrolleurin, die das Gewicht der geschlachteten Tiere überprüft und sicherstellt, dass das Fleisch anschließend wirklich bei den Ärmsten landet.

Schwere Dürre in Westafrika

Die Sahelzone in Westafrika leidet seit dem letzten Jahr unter einer schweren Dürre. Elf Millionen Menschen leben in dem Gebiet südlich der Sahara, das sich von Mauretanien, Mali, Niger bis in den Tschad und Sudan zieht. Viele Familien können schon jetzt nur mit Nahrungsmittelhilfe überleben. Darunter die Menschen aus der Region Téra im Niger an der Grenze zu Burkina Faso, wo auch das Dorf Yatakala liegt.

In acht zentral gelegenen Dörfern der Region hat die Welthungerhilfe daher die einfachen Schlachtereien eingerichtet. Insgesamt 60.000 Menschen haben seit Anfang dieses Jahres von dem Projekt profitiert, alle bedürftigen Haushalte haben Fleisch erhalten und dazu Hirse und Saatgut .

Schwache Tiere retten Menschenleben

Die Kontrolleurin Fati Salaou öffnet das Tor zu einem ummauerten Hof. Hier dösen ein paar magere Rinder und Ziegen im Schatten eines Baumes. Wegen der Dürre finden die Ochsen und Kühe in der Sahelzone kaum noch Futter, erklärt Salaou. Das Projekt der Welthungerhilfe kauft daher den Viehzüchtern gezielt ihre schwächsten Tiere ab, und zwar zu einem Preis, den sie auf dem Markt niemals erzielen könnten. Rund um Yatakala landen diese Tiere jetzt rechtzeitig im Kochtopf, erklärt der Regionaldirektor der Welthungerhilfe für Westafrika. "Wir müssen vor allem vermeiden, dass die Leute fliehen", so Willi Kohlmus. Wenn die Dorfbewohner in Flüchtlingscamps abwandern, können sie auch in diesem Jahr nichts ernten. Sie würden dann, wie am Horn von Afrika geschehen, auf lange Sicht von ausländischer Hilfe abhängig, befürchtet Kohlmus.

Rinderhälften, die Leben retten. (Foto: Jantje Hannover)
Rinderhälften, die Menschenleben rettenBild: DW/J.Hannover

Die kontrollierten Schlachtungen haben sich als gute Idee erwiesen, das zu verhindern. Denn für die Viehzüchter und Nomadenvölker im Sahel gelten Kühe und Ochsen als Ausdruck von Wohlstand und als Guthaben für Notzeiten. Geschlachtet wird nur zu besonderen Anlässen, zum Beispiel wenn ein Sohn heiratet. Normalerweise lassen die Hirten ihre Tiere lieber verhungern, als ihnen das Messer an die Kehle zu setzen. Einzig der Verkauf kommt in Frage. Aber wer kauft schon Rinder, wenn es wegen der Dürre kein Futter gibt? Ein echtes Dilemma für die Menschen hier, erklärt Saydou Abdoulaye, ein junger Familienvater aus Yatakala. "Bei uns im Sahel gibt es nur zwei Berufe: Ackerbauer oder Viehzüchter. Man kann nicht wirklich von uns verlangen, dass wir unsere Herden verkleinern – denn wir haben nichts anderes, sie sind unser einziges Kapital."

Nahrungskrise als Krise der Naturressourcen

Die Menschen im Sahel werden umlernen müssen. Denn die Nahrungskrise ist eng mit einer Krise der Naturressourcen verknüpft. Einerseits hat der Klimawandel dazu geführt, dass die Regenzeiten in der Region unregelmäßiger einsetzen und Dürreperioden häufiger vorkommen. Andererseits verstärkt die rasant wachsende Bevölkerung die Nutzung der Böden. Mehr Menschen halten auch mehr Tiere, die Flächen sind überweidet, die Felder bekommen keine Brachzeit und laugen aus. Gleichzeitig werden immer mehr Bäume für Feuerholz gefällt.

Ausgedörrte Landschaft
Ausgedörrte Landschaft im SahelBild: DW/J.Hannover

Nur langsam verstehen die Menschen aus Yatakala, dass sie mitverantworten, dass hier kaum noch etwas wächst. Für die 60-jährige Bäuerin Gambina Birma ist es die schlimmste Dürre, die sie je erlebt hat. "Wir beten alle, dass es in diesem Jahr wieder genug regnet. Inzwischen geschieht hier jedes zweite Jahr eine Katastrophe", beklagt sich Birma. "Früher war das nicht so, da gab es hier auch noch viel mehr Bäume und kaum Sand."

Neue Ziele für Viehzüchter

In einem einfachen Schulhaus in der Kreisstadt Téra drücken erwachsene Männer die Schulbank. Vor der Wand mit der Tafel stehen ein paar Tische aufgereiht, darauf lagern Medikamente und medizinische Geräte. Hier findet gerade eine Schulung für Tiergesundheitshelfer statt. Auch zwei Viehzüchter aus Yatakala lassen sich ausbilden. "Wir wollen hier nicht nur Nothilfe machen, sondern mit Ihnen die Grundlage für eine bessere Zukunft legen", erklärt Willi Kohlmus von der Welthungerhilfe den Teilnehmern bei einer Stippvisite.

Künftige Tiergesundheitshelfer (Foto: Jantje Hannover)
Künftige TiergesundheitshelferBild: DW/J.Hannover

Jeder der Teilnehmer soll später in seinem Dorf eine Art Apotheke für Tiere betreiben, bei der sich die Bauern kostenlos mit Medikamenten versorgen können. Wichtigstes Lernziel: Eine kleine Herde mit gesunden Tieren ist wertvoller, als eine große, die man in Dürrezeiten kaum ernähren kann.