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Korruption in Brasilien: Skandale monatsweise

14. September 2011

Korruption ist nichts Neues in dem Land. Neu ist aber das Tempo, mit dem die Skandale öffentlich werden. Jetzt muss der Tourismusminister gehen – der vierte Rücktritt in nur vier Monaten!

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Mit Clownsnasen gegen die Korruption (Foto: AP)
Mit Clownsnasen gegen die KorruptionBild: picture-alliance/dpa

Staatspräsidentin Rousseff kommen die Minister abhanden: Tourismusminister Pedro Novais soll eine private Hausangestellte mit Steuergeldern bezahlt und einen Angestellten des Parlaments als Chauffeur für die eigene Gattin eingesetzt haben, schreibt die Tageszeitung Folha de São Paulo. Der 81-jährige aus der Partei von Rousseffs wichtigstem Koalitionspartner, der PMDB, ist zwar am Mittwoch (14.9.) zurückgetreten, doch Ruhe kehrt damit nicht ein. Vorigen Monat wurden mehr als 30 Mitarbeiter festgenommen – weil sie für Unregelmäßigkeiten bei Ausschreibungen veranwortlich gemacht werden.

Inzwischen reicht es auch den lebensfrohen Brasilianern: Sie organisieren sich auf Facebook & Co. und gehen auf die Straße. Weil sie die Nase voll von Korruption haben, greifen sie zu Clownsnasen. Die Botschaft der Demonstranten: In den Augen der Politiker mögen die Bürger Clowns sein, die sich für dumm verkaufen lassen. Doch damit ist jetzt Schluss. Parallel zur Feier der brasilianischen Unabhängigkeit am 7. September gingen allein in der Hauptstadt Brasilia 25.000 Menschen auf die Straße. Ähnliche Demos gab es auch in anderen großen Städten - wie etwa der Wirtschaftsmetropole Sao Paulo.

Auslöser dafür, dass die Brasilianer auf die Straße gingen, war der Fall der Parlamentsabgeordneten Jaqueline Roriz. Obwohl auf einem heimlich gedrehten Video aus dem Jahre 2006 zu sehen ist, wie sie Geld von einem Politiker annahm, der unter Korruptionsverdacht steht, stimmten ihre Abgeordnetenkollegen gegen ihre Amtsenthebung. Das war zuviel: Auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken riefen Aktivisten daraufhin zu Kundgebungen auf.

Dilma Rousseff: Aufklärerin oder Getriebene?

Demonstranten sagen "Nein zu Korruption", Protestmarsch in Brasilia am 7.9.2011 (Foto: AP)
Demonstranten sagen "Nein zu Korruption", Protestmarsch in Brasilia am 7.9.2011Bild: picture-alliance/dpa

Dass die Krankheit Korruption bekämpft werden muss, ist auch Staatspräsidentin Dilma Rousseff klar. Unklar ist hingegen, ob sie Getriebene ist oder die Ereignisse selbst voran treibt. Politische Beobachter sehen in der Härte, mit der sie auf die Skandale reagiert, eine neue Qualität und Intensität. Allein im Zuge eines Skandals im Verkehrsministerium verloren mehr als zwanzig Mitarbeiter wegen Bestechlichkeit ihren Job, was Medien und Experten dazu veranlasst, von einem "Großreinemachen" zu sprechen.

Auch in der Wirtschaft registriert man die Bemühungen der Präsidentin: "Nach langer Zeit hat Dilma Rousseff Maßnahmen getroffen, die in der jüngsten Vergangenheit nicht unternommen wurden", sagt Werner Wanderer von der Deutsch-Brasilianischen Industrie- und Handelskammer in Brasília. " Was sich heute in Brasilien abspielt, ist in der Tat neu. Es werden Maßnahmen ergriffen – ernsthafte Maßnahmen – zur Korruptionsbekämpfung."

Der Journalist Fernando Rodrigues zeigt sich in seiner Kolumne in der Zeitung Folha de Sao Paulo weniger optimistisch. Er glaubt, Rousseff gehe nicht aus eigenem Willen gegen die Korruption vor, sondern reagiere lediglich auf die Enthüllungen der Presse.

Seit Juni gingen fünf Minister

Der erste, der seinen Hut nehmen musste, war Antonio Palocci, Kabinettschef von Präsidentin Rousseff. Ihm wurde Bereicherung und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Die Anschuldigungen bezogen sich auf die Jahre 2006 bis 2010, als Palocci für Rousseffs Arbeiterpartei im brasilianischen Parlament, dem Kongress, saß. In dieser Zeit wuchs sein Vermögen um das Zwanzigfache. Die sprunghafte Vermehrung seines Reichtums versuchte er mit seiner Beratertätigkeit zu erklären. Doch als der Druck im Juni untragbar wurde, bat er die Präsidentin um seine Entlassung.

Einen knappen Monat später erschienen in der Presse Berichte, in denen Verkehrsminister Alfredo Nascimento mit dem Missbrauch öffentlicher Gelder in Zusammenhang gebracht wurde. Die einflussreiche Wochenzeitung Veja berichtete über ein angebliches System zur Bestechung von Mitgliedern der Republikanischen Partei, kurz PR, im Zusammenhang mit öffentlichen Bauprojekten. Nascimento musste gehen, und die PR verließ das Regierungsbündnis von Präsidentin Rousseff. Nascimento war übrigens einer von mehr als 20 Amtsträgern, die das Verkehrsministerium wegen Korruptionsverdachts verließen.

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff (Foto: AP)
Brasiliens Präsidentin Dilma RousseffBild: dapd

Im August geriet auch das Landwirtschaftsminisiterum ins Zwielicht. Die Rede war von angeblich illegalen Absprachen zwischen Unternehmen und Abteilungen des Ministeriums sowie von Unregelmäßigkeiten bei öffentlichen Ausschreibungen. Just einen Tag, nachdem die Bundespolizei ein Verfahren zur Aufklärung der Vorwürfe eingeleitet hatte, bat Landwirtschaftsminister Wagner Rossi um seine Entlassung. Nach wie vor bestreitet er aber die Vorwürfe und sieht sich als Opfer einer Medienkampagne.

Wie weit kann die Präsidentin gehen?

Die Luft in Dilma Rousseffs Kabinett wird dünner: Anfang August musste wieder ein Minister gehen: Dieses Mal traf es Verteidigungsminister Nelson Jobim – allerdings nicht wegen finanzieller Verfehlungen, sondern wegen eines Interviews, in dem er über einige seiner eigenen Kabinettskollegen gelästert hatte.

Doch neben dem dünner werdenden Personaltableau hat die Regierungschefin ein weiteres Problem. Denn ob Rousseff tatsächlich die Unterstützung des Kongresses für einen umfassenden Kampf gegen die Korruption bekäme, ist nicht ausgemacht. Bislang haben nur wenige Stimmen aus den eigenen Reihen ihre Begeisterung über den harten Kurs der Präsidentin bekundet. Der Politikwissenschaftler David Fleischer von der Organisation 'Transparency Brasil' ist sogar der Ansicht, dass Rousseff einen Bruch ihrer Koalition riskiert, wenn sie an ihrem strikten Kurs weiter festhält.

Realpolitik auf der einen Seite, die politische Glaubwürdigkeit auf der anderen Seite – und dann sind da noch die Internet-Aktivisten, die genau beobachten wollen, welche Schritte die Präsidentin als nächste unternimmt. Die Organisatoren der Protestmärsche wollen auf keinen Fall locker lassen. Einer von ihnen, Giderclay Zeballos, erklärt, man wolle die Aufmerksamkeit der Menschen darauf lenken, was im Land falsch laufe. Sein Mitstreiter Walter Magalhaes gibt sich kämpferisch: "Das war nur der Auftakt." In den kommenden Monaten werden weitere Kundgebungen folgen – und wohl auch noch weitere Skandale.

Autor: Ericka de Sá/ Alexandre Schossler

Redaktion: Birgit Görtz