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"Kosovo kann auf einen nachhaltigen Wachstumspfad kommen"

24. August 2006

Joachim Rücker wird am 1. September Leiter der UN-Verwaltung für Kosovo (UNMIK). Im Gespräch mit DW-RADIO äußerte er sich vor allem zu den wirtschaftlichen Perspektiven der Region. Auszüge aus dem Interview.

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Neuer UNMIK-Chef zuversichtlich in WirtschaftsfragenBild: UN

DW-RADIO: Herr Rücker, was muss wirtschaftlich im Kosovo noch geregelt werden?

Joachim Rücker: Das wichtigste ist die Integration in den größeren Markt Südosteuropas und in die europäischen Märkte. Mit 2,5 Millionen Einwohnern ist der Markt natürlich nicht zureichend. Deshalb ist es sehr gut, dass der Südosteuropa-Stabilitätspakt die Initiative ergriffen hat, ein regionales Freihandelsabkommen zu zimmern, das eigentlich noch mehr ist als ein reines Freihandelsabkommen. Es ist sehr gut, dass Kosovo im regionalen Energiebündnis für Südosteuropa Mitglied ist, das die Strommärkte zusammenführt. Ohne Integration geht es nicht. Dazu kommen müssen natürlich auch jede Menge Investitionen, sowohl in die Infrastruktur, aber auch vor allem Privatinvestitionen. Dazu leistet das Privatisierungsprogramm einen Beitrag.

Wie kann Kosovo seinen Strukturwandel als Gebiet mit viel traditioneller Schwerindustrie bewältigen? Wo liegt die wirtschaftliche Zukunft der Region?

Zunächst, ganz generell gesprochen, glaube ich, dass Kosovo wie andere Transformationsökonomien auch die Chance hat, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen, wenn die Bedingungen dazu erfüllt sind und es seine komparativen Vorteile nutzt. Die komparativen Vorteile liegen durchaus nach wie vor auch im Bereich von Bergbau und Energie. Es gibt viele Bodenschätze - wertvolle Erze. Es gibt aber auch viel Braunkohle, die relativ leicht zu verstromen ist. Kosovo hat hier einen Vorteil als "Least-Cost-Producer", wie man sagt. Wenn man diese Vorteile nutzt, liegen sie auch im Bereich der Primärindustrie, aber nicht nur. Es gibt natürlich auch eine landwirtschaftliche Tradition. Es gibt meiner Ansicht nach auch Chancen im Dienstleistungssektor, weil es eine junge, gut ausgebildete und mehrsprachige, mit Auslandserfahrung versehene Bevölkerung gibt. Da gibt es durchaus Chancen im Bereich des Dienstleistungssektors.

Sie klingen sehr optimistisch. Aber die Arbeitslosenquote ist sehr hoch. Auch andere Länder der Region setzen auf ähnliche Entwicklungsstrategien. Aber nicht alle werden Energie exportieren können. Ist es wirklich so gut um Kosovo bestellt?

Ich würde nicht sagen, dass ich Optimist bin, aber ich bin zuversichtlich, dass es möglich ist, auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu kommen. Sie sprechen die Energie an, als ein Beispiel, wo Kosovo durchaus komparative Vorteile hat. Da gibt es eindeutige Studien der Weltbank und der European Agency for Reconstruction, die nachweisen, dass es auf dem Markt in Südosteuropa doch auf mittlere Sicht Defizite bei der Stromversorgung geben wird und Kosovo diese Defizite sehr günstig schließen kann. Das ist also nicht aus der Luft gegriffen, sondern eindeutig belegt, und deswegen werden wir auch in diesem Bereich Investitionen sehen. Da bin ich sehr zuversichtlich. In anderen Bereichen der Wirtschaft sagen Sie zu Recht, dass die Arbeitslosigkeit sehr hoch ist. Wenn man den Subsistenzsektor in der Landwirtschaft abzieht, liegt sie etwa bei 30 Prozent. Das ist viel zu hoch. Wir sind immer noch in einem Teufelskreis von zu geringem Wachstum, hoher Arbeitslosigkeit, starkem außenwirtschaftlichen Ungleichgewicht und fiskalischen Zwängen. Um aus diesem Teufelskreis auszubrechen ist es nötig, Infrastrukturinvestitionen zu haben, aber auch vor allem Privatinvestitionen. Das ist anderswo genauso und kein Grund in Verzweiflung auszubrechen, sondern man muss arbeiten und die Ärmel hochkrempeln. Wie Sie sehen, arbeiten wir daran intensiv. Wir haben die Geschwindigkeit des Privatisierungsprogramms doch stark erhöht und in relativ kurzer Zeit über 200 Firmen an den Markt gebracht. Da gibt es auch eine ganze Reihe von Erfolgsbeispielen.

Glauben Sie, dass es möglich ist, sich mit Belgrad in Fragen zu einigen, die sich direkt auf das Leben der Menschen auswirken? Zum Beispiel in Eigentumsfragen oder bei der Privatisierung, gegen die sich Belgrad ja sehr stark gewehrt hat.

Es gibt ja einen Dialog zwischen der Regierung in Belgrad und den Selbstverwaltungsinstitutionen in Prishtina unter Begleitung von der UNMIK und einem neutralen Vorsitzenden, der auch schon lange vor den Statusverhandlungen angefangen hat. Dabei geht es um technische Fragen wie vermisste Personen und Wirtschaftsfragen. Allerdings muss man sehr genau unterscheiden, in diesen Gesprächen wird natürlich nicht das Mandat der UNMIK verhandelt. Wir können dabei nicht verhandeln, dass wir hier privatisieren. Das ist ganz klar eine Folge der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats. Aber wir reden natürlich mit Belgrad, und es ist natürlich auch durchaus ein Thema im Rahmen der Statusgespräche, dass die Mechanismen, die die Eigentumsrechte im Rahmen der Europäischen Konvention der Menschenrechte, funktionieren. Das erklären wir auch gerne.

Kann denn die Resolution 1244 als erfüllt betrachtet werden, bevor alle Eigentumsfragen geklärt sind?

Es gibt ja in postkommunistischen Transformationsgesellschaften eine ganze Reihe von Eigentumsfragen. Diese Fragen haben zwar mit dem Status des Kosovo wirklich nichts zu tun, sind aber hier trotzdem auch vorhanden. Das sind zum Beispiel Fragen der Enteignungen, die in kommunistischer Zeit stattgefunden haben, oder auch davor. Dazu gehört auch die Frage des Kircheneigentums, als typisches Beispiel. Das hat ja mit den Statusverhandlungen nichts zu tun, trotzdem ist es ein zentrales Eigentumsthema.

Das Interview führten Fabian Schmidt und Filip Slavkovic
DW-RADIO/Albanisch und DW-RADIO/Serbisch, 23.8.2006, Fokus Ost-Südost