1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kostüme und Geschichtslektionen

Jochen Kürten25. Dezember 2012

Kostümfilme sind purer Augenschmaus. Im Dezember liefen gleich drei Historienepen in den Kinos, darunter eine Neuverfilmung des Ludwig II-Stoffes. Worin liegt der Reiz?

https://p.dw.com/p/16zsB
Szene aus der Neuverfilmung "Ludwig II" mit Paula Beer und Sabin Tambrea (Foto: Bavaria Pictures/Warner Bros./Stefan Falke)
Bild: Bavaria Pictures/Warner Bros./Stefan Falke

Ist das nun alles pure Ablenkung? Das Kino als Ort der Weltflucht? Oder bekommen wir durch solche Filme einen Erkenntnisgewinn? Können wir unser Geschichtswissen verbreitern? In der Vorweihnachtszeit erlebt der gute alte Kostümfilm klassischer Prägung mal wieder eine Renaissance. Dabei ist er eigentlich nie wirklich von der Leinwand verschwunden. Es gibt wohl auch kaum ein anderes Genre, das sich einer exakten Definition so konsequent verweigert, wie der Kostümfilm.

Denn: Was ist eigentlich kein Kostümfilm? Streng genommen gehören doch fast alle Filme zu diesem Genre. In Kostüme schlüpfen schließlich sämtliche Darsteller vor den Kameras. Ob Westernkluft oder Science-Fiction-Kostüm, ob prachtvolle Robe aus dem 18. Jahrhundert oder gestyltes 1960er-Jahre-Outfit - seit Beginn der Filmgeschichte entführen uns die Regisseure in vergangene Zeiten oder künftige Welten. Was kann das Kino denn nicht auch besser, als den Zuschauer auf eine mehr oder weniger realistisch rekonstruierte Zeitreise mitzunehmen?

Und doch würden wohl die meisten Menschen die Frage, was sie denn unter einem "Kostümfilm" verstehen, ähnlich beantworten: große Kinoepen, die im 18. oder 19. Jahrhundert spielen. "Vom Winde verweht" wird dann genannt oder "Der Leopard" von Luchino Visconti. Ein Western ist ein Western, ein Science-Fiction-Film blickt in die Zukunft, Filme über Römer und Griechen nennt man Historienkino oder spöttisch Sandalenfilm und die Abenteuer eines Käpt'n Hook fallen unter die Rubrik Piratenfilm. Bleiben also zwei bis drei Jahrhunderte, die nicht ganz so weit zurückliegen.

Szene aus Ludwig II von Visconti mit Helmut Berger in der Hauptrolle (Foto: picture alliance/dpa)
Unvergessen und nie wieder erreicht: Helmut Berger als Ludwig II in der Visconti-VerfilmungBild: picture alliance/kpa

"Ludwig II" ist klassischer deutscher Kostümfilm-Stoff. Schon die populären Sissi-Filme ergötzten sich in den 60er Jahren an der Kleiderpracht und den Uniformen der Darsteller und am Herzschmerz der jungen Kaiserin. Der Italiener Visconti besetzte 1972 den unglücklichen Bayern-König mit dem Deutschen Helmut Berger und schuf den wohl ultimativen Ludwig-Film. Mit dem kann sich die Neuverfilmung des Stoffes durch das Regiepaar Peter Sehr und Marie Noëlle, die zu Weihnachten in die deutschen Kinos kommt, in kaum einer Beziehung messen.

Das führt direkt zum Zentrum des Problems "Kostümfilm": zum Geld. Es ist nun einmal so: mit viel Geld kann man Schauwerte inszenieren, die betören, verblüffen und das Publikum überwältigen. Das kann Hollywood meisterhaft. Dort spielen Dollars eine große Rolle. Und wenn dann noch ein intelligenter und innovativer Regisseur wie Martin Scorsese daherkommt, der 1993 "Die Zeit der Unschuld" nach dem Klassiker von Edith Warthon auf die Leinwand brachte, dann kann daraus auch tatsächlich Kunst entstehen. Denn Geld allein macht noch keinen guten Kostümfilm aus. Natürlich müssen alle Zutaten stimmen, Drehbuch und Schauspieler, Dramaturgie und Regie, natürlich auch die bei diesem Genre so ungemein wichtige Ausstattung.

Ludwig II: # 20.12.2012 # Journal deutsch

Doch es geht auch mit weniger Geld. Wenn man sich beschränkt. Die Franzosen haben das immer wieder geschafft. Jacques Rivette, Eric Rohmer und Bertrand Tavernier sind Regisseure, die tief in die französische Historie geblickt und meisterhafte Kostümfilme mit bescheideneren Mitteln in Szene gesetzt haben. Man kann als Zuschauer auch in vergangene Jahrhunderte eintauchen, wenn die Geschichte konzentriert erzählt wird und Ausstattung und Kostüme genügend Platz lassen für die Phantasie im Kopf der Zuschauer. Ob das bei den beiden jüngsten großen internationalen Kostümfilmproduktionen, die im Dezember in den deutschen Kinos laufen, gelungen ist, kann jeder Kinozuschauer selbst entscheiden. Dem einen wird gerade die Opulenz der neuen Anna Karenina-Verfilmung des Briten Joe Wright mit Keira Knightley gefallen. Andere werden sie für zu kitschig empfinden. Das gleiche trifft auf die soundsovielte Charles Dickens-Verfilmung "Große Erwartungen" zu, die auch gerade in den Kinos zu sehen ist.

Filmszene mit Winona Ryder und Daniel Day-Lewis in dem Scorsese-Film "Zeit der Unschuld" (Foto: picture alliance dpa)
Martin Scorseses Ausflug ins Kostümfilmgenre: "Zeit der Unschuld"Bild: picture-alliance/dpa

Viele Kostümfilme wollen die Zuschauer mit ihrer Fülle an Ausstattung und Opulenz lediglich unterhalten. Das Kino dient dabei nicht selten als pure Ablenkung von den Nöten des Alltags. Man kann sich in den Kinosessel zurücklehnen und sich in eine andere Zeit hineinträumen. Was haben die Liebschaften am Königshof in Versailles oder München schon mit der nüchternen Gegenwart zu tun? Auf der anderen Seite können gute Kostümfilme durchaus auch Stoff für die Wissenschaft liefern. Historische Filme wurden als erstes Spielfilmgenre überhaupt von den Wissenschaftlern an den Universitäten als Untersuchungsgegenstand akzeptiert. Und als das Deutsche Historische Museum in Berlin im Sommer seine große Retrospektive zum Kostümfilm zeigte, bot diese neben vielen schönen Filmen auch genügend Gesprächsstoff für ein anspruchsvolles Publikum.

Keira Knightley als Anna Karenina in einer Szene des Kinofilms "Anna Karenina" (Foto: dpa/Universal)
Opulente Neuverfilmung des Tolstoi-Romans: Keira Knightley als Anna KareninaBild: picture alliance / dpa

So fällt es ebenso schwer Kostümfilme in ihrer Zielsetzung und Wirkung auf einen Nenner zu bringen, wie es unmöglich ist den "Kostümfilm" exakt zu definieren. Dass das Genre sich instrumentalisieren lässt, haben die Nationalsozialisten bewiesen. Veit Harlans "Jud Süß", in mancher Hinsicht ein geradezu klassischer Kostümfilm, war wichtiger Bestandteil der antisemitischen Propagandamaschinerie. Die meisten Kostümfilme moderner Prägung sollen nur vom Alltag ablenken. Manchmal schwingen sich die Regisseure allerdings auch zu künstlerischen Höhenflügen auf. Dann vereint ein Kostümfilm beides: Augenschmaus und Erkenntnisgewinn.

Holliday Grainger und Jeremy Irvine in einer Szene des Kinofilms "Große Erwartungen" (Foto: Johan Persson/Senator Filmverleih/dpa)
Immer wieder gern verfilmt: "Große Erwartungen" nach Charles DickensBild: picture-alliance/Johan Persson/Senator

"Anna Karenina" läuft seit dem 6. Dezember in den Kinos, "Große Erwartungen" seit dem 13.12. "Ludwig II" startet am 26. Dezember. In der neuen KINO-Ausgabe der Deutschen Welle vom 21.12. erwarten Sie, außer dem Bericht über Ludwig II, der Jahresrückblick zum Kinojahr 2012 und ein Beitrag über den Menschenrechtsfilmpreis.