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Kotau vor Putin?

29. Oktober 2002

Wegen einer Tschetschenien-Konferenz in Kopenhagen hat Wladimir Putin mit dem Boykott des EU-Russland-Gipfels in Dänemark gedroht. Die EU verlegte das Treffen nun nach Brüssel. Es kommentiert Alexander Kudascheff.

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Da hat die Europäische Union schnell reagiert. Kaum protestierte Moskau gegen eine tschetschenienkonferenz in Kopenhagen, drohte unverhüllt, seine Teilnahme am nächsten Gipfel der EU mit Russland Anfang nächster Woche in der dänischen Haupstadt abzusagen, verlegte die EU den Gipfel schlicht nach Brüssel. Damit konnten erst einmal alle Seiten ihr Gesicht wahren. Die Dänen, stolz auf ihre manchmal überliberale Toleranz, finden eine Tschetschenienkonferenz völlig selbstverständlich. Und die Russen? Sie sind traumatisiert vom Moskauer Geiseldrama und finden eine Konferenz von Terroristen völlig unangebracht, vor allem im Vorfeld eines Gipfels. Und irgendwie haben beide Seiten recht.

Die russisch-europäischen Beziehungen sind ohnehin nicht spannungsfrei. Das liegt in erster Linie am russischen Krieg in Tschetschenien. Die Europäer verstehen durchaus - und nicht erst seit dem 11. September - dass Russland sich gegen den tschetschenischen Terrorismus wehrt. Sie fragen sich aber, ob die Verhältnismäßigkeit der Mittel immer gewahrt ist. Sie befürchten, dass die Annexion des Landes und die brutale militärische Besatzung der Kaukasusrepublik immer neue Terroristen schafft, was Moskau eigentlich verhindern will. Sie sehen, dass die Spirale der Gewalt und der Gegengewalt sich immer weiter dreht - und auch der sonst so kühl taktierende Präsident Wladimir Putin nicht in der Lage ist, diesen Teufelskreis zu stoppen. Deswegen kritisieren sie seit Jahren die russische Politik in Tschetschenien.

Andererseits: Nach dem 11. September haben sich in der EU die Koordinaten geändert. Gegen den islamisch inspirierten Terrorismus muss man hart durchgreifen, so die Mehrheitsmeinung. Gegen Terror und Geiselnahmen helfen nur polizeiliche oder militärische Mittel, nicht die Diplomatie der guten Worte. Hier findet Putin grundsätzliche Unterstützung. Hier ist man seiner Meinung, auch weil man den Terrorismus - sei er islamisch oder separatistisch motiviert - genauso energisch bekämpft oder bekämpfen will.

Und doch gibt es leise Zweifel in der EU an Putins Kurs. Muss man nicht wenigstens versuchen, die tschetschenischen Anliegen zu verstehen? Ist es nicht Zeit, die Besatzung zu beenden, und wenigstens Friedensverhandlungen zu versuchen - z.B. mit dem gewählten Präsidenten Maschadow? Muss man die Kaukasusrepublik nicht vielleicht sogar in die Unabhängigkeit entlassen? Ist dieser Krieg zwischen schlecht bezahlten und kaum motivierten russischen Soldaten und einem nach Freiheit gierenden Volk überhaupt zu gewinnen? Diese Fragen stellt man sich in der EU - ohne schon abschließende Antworten darauf zu haben. Aber sie nähren die Skepsis gegenüber Putins Kurs.

Die EU tritt aber dem russischen Präsidenten gegenüber nicht gerade mit überbordendem Selbstbewusstsein auf. Vernünftige Beziehungen zu Russland sind der EU wichtiger als Kritik an Menschenrechtsverletzungen. Deswegen schweigt man eher als zu protestieren. Die Kritik wird diplomatisch geäußert, das muss reichen. Dann beginnt wieder der politische Alltag. Und der heißt nächste Woche in Brüssel schlicht: wie löst man die Kalinigradfrage, wenn die EU erweitert wird. Und da sucht man händeringend eine Lösung und ist auf russischen Goodwill angewiesen. Und deswegen lautet die oberste diplomatische Maxime der EU: kein lauter Krach mit Moskau, sondern kritisches Verständnis für Putins Kurs.